Donnerstag, 8. Oktober 2015

Sonntag 06.11.16 - Teil 2

Aus der Mauerstraße wankte eine seltsam gekrümmte Gestalt um die Ecke, keine zehn Meter von uns entfernt. Sie humpelte und zog das rechte Bein nach. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich den Grund, eine klaffende ekelerregende Wunde am vorderen Oberschenkel. Aus meiner Zeit als Zivildienstleistender beim Rettungsdienst wusste ich, dass solche Wunden – aufgrund des großen Blutverlustes – innerhalb einer Stunde zum Tod führen konnten. Die Gestalt schien sich daran nicht zu stören. Mit hängendem Kopf und geisterhaftem Grinsen schaute sie sich um.

Ich erstarrte, hielt den Atem an. Es handelte sich um einen älteren Mann, vielleicht Mitte fünfzig. Er trug einen fleckigen, zerrissenen Nadelstreifenanzug mit weißem Hemd und dezenter dunkelblauer Krawatte. Die ergrauten Haare hingen ihm wirr über die Stirn und verdecken sein rechtes Auge. Ehemals ein Bankangestellter, vielleicht ein Manager. Jetzt nur noch ein mordlustiger wandelnder Leichnam.

Unentschlossen ließ er seinen Blick nach allen Seiten schweifen. Sekunden vergingen wie Stunden. Dann sah ich hinter mir weitere Gestalten die Straße herunterkommen. Zuerst waren es zwei, dann fünf und schon bald zehn, die aus Richtung Kopernikusplatz kamen. Einerseits wurde mir klar, dass wir uns schnellstens in Sicherheit bringen mussten, andererseits war ich vor Panik völlig gelähmt. Meine Beine glichen tonnenschweren Gewichten. Verdrängte Erinnerungsfetzen an die Geschehnisse vom Frankfurter Hauptbahnhof blitzten in schneller Folge vor meinem inneren Auge auf.

Es blieb mir jedoch keine Zeit auf meine Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle einzugehen. Aus einem Nachbarhaus stürmte ein Mann zwischen mir und dem herannahenden Mob auf die Straße. In seiner Rechten hielt er eine Pistole. „Halt“, schrie er und zielte mit der Waffe auf mich. „Weg vom Wagen!" Er gestikulierte mit der Waffe. "Sofort aussteigen! Der Wagen gehört von jetzt an mir. Verschwindet.“

Die bisher gemächlich herannahende Zombiemeute hinter ihm, wurde von seinem Geschrei aufgeschreckt und angelockt. Sie beschleunigten ihre Bewegungen. Er war so aufgeregt, dass er den Tod nicht kommen sah. 

Sollte ich ihn warnen? Was würde dann passieren? Würde er mit unserem Wagen flüchten und uns zum Sterben zurücklassen? Hin und her gerissen war ich blockiert und verharrte in einer Schockstarre.

Als er sie endlich bemerkte war es schon zu spät. Sie waren schon zu nah, um noch flüchten zu können. Es gelang ihm noch zwei der Zombies niederzuschießen, doch drei andere überwältigten ihn und rissen ihn zu Boden. Er schlug noch um sich, hieb mit seiner Waffe in die verzerrte Fratze eines Zombies, entwand sich den Klauen eines Weiteren, hatte jedoch keine ernsthafte Chance mehr.

„STEIG ENDLICH EIN“, schrie Alex. 

Das wirkte. Mühsam kämpfte ich mich aus meiner Benommenheit und sprang in den Wagen. Keine Sekunde zu früh. Der einzelne Zombie vor uns verfolgte mich und schlug einen Wimpernschlag zu spät gegen die frisch geschlossene Tür. Adrenalin beschleunigte meine Bewegungen. Ich drehte den Zündschlüssel, doch der Wagen startete nicht.

 „Echt jetzt?“, schrie ich. Verzweifelt pumpte ich mit dem Gaspedal Benzin in den Motor. Der verdammte Golf hatte uns in den letzten zehn Jahren nicht einmal im Stich gelassen, warum ausgerechnet jetzt? Wie in diesen beknackten Horrorfilmen.
Der Zombie trommelte mit gnadenloser Härte gegen die Fensterscheibe. Ich betätigte die Zentralverriegelung und hoffte, dass es ihm nicht gelang, das Fenster zu zerstören. Alex schrie auf, auch auf ihrer Seite wüteten dieselben entstellten Gestalten. Der Wagen erbebte. Im Rückspiegel sah ich weitere Zombies herannahen. Schreckliche Fratzen mit leeren seelenlosen Blicken überall.

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