Dienstag, 29. September 2015

Warum wir als Männer keine echte Beziehung zu unseren Kindern haben

Kind
Ich hatte zwei Monate komplette Elternzeit, danach sechs Monate Teilzeit-Elternzeit (15 Stunden in der Woche). Nun stehe ich acht Monate danach vor dem Ereignis, bald wieder in mein normales Arbeitsleben einzutreten. Da stellt sich bei mir ein unbehagliches und trauriges Gefühl ein. Ich stelle mir die Frage, ob ich dann noch genug Zeit aufbringen kann für meine Familie.

Derzeit verbringe ich viel Zeit mit meiner Familie. Wir besuchen Kurse, treffen andere Eltern (hauptsächlich jedoch Mütter), kuscheln und spielen im Bett, gehen viel spazieren und beteiligen uns an einer pädagogischen Ausarbeitung zu einem Konzept für eine Gründung einer freien Schule. Es ist also viel los und es macht unheimlich Spaß diese Welt kennen zu lernen.

Ich lerne mein Kind kennen, weiß einzuschätzen wie ich mich gegenüber ihm verhalten kann und weiß langsam immer besser, wo der Schuh drückt wenn der Kleine mal unzufrieden ist. Ich habe so viel erlebt mit ihm, eine neue Welt kennen gelernt, die mich in meiner Verantwortung fordert und auch mich hinterfragt. Es ist eine tolle Zeit, die ich nie mehr missen möchte. Sicher, die Familienzeit ist alles andere als einfach, aber befriedigt mich sehr stark, da ich etwas Sinnvolles tue.

Nun soll das alles vorbei sein in drei Wochen. Dann gehe ich meiner geregelten Arbeitszeit wieder nach. Ich werde eine 28-Stunden-Woche haben, bei der ich diese 28 Stunden auf vier Tage verteile. Ich gehe Freitags demnach meiner Arbeit in einer Werbeagentur nicht nach. Diese Arbeitszeit habe ich schon seit mehreren Jahren, auch in dem Unternehmen, in dem ich zuvor angestellt war.

Der Grund für eine verkürzte Arbeitszeit im Gegensatz zu einer Vollzeit-Woche ist mir klar: zu wenig Zeit für einen selbst, keine Zeit für Freunde oder für die Beziehung zur Partnerin, keine Zeit um ein Buch zu lesen, keine Zeit für Muse, für Kunst und Kreativität. Der freie Freitag ist dafür da sein, diesen Dingen nachzugehen.

Ok, 28 Stunden hört sich nicht viel an im Gegensatz zu 40 Stunden. Doch schauen wir uns die Praxis an. Ich brauche eine halbe Stunde bis Stunde auf Arbeit oder zurück nach Hause. Würde ich die 28 Stunden aufteilen auf vier Tage habe ich also einen 7-Stunden-Tag. Mit einer Pause von einer Stunde und An- und Abreise bin ich also ungefähr 9 Stunden nur mit der Arbeit beschäftigt. Ich gehe um 8 Uhr aus dem Haus und bin - wenn die Bahn nicht streikt - um 17 Uhr zu Hause. Dann noch was einkaufen und Essen machen. Was bleibt also an Zeit für meinen Sohn?

Reicht die Zeit fürs Kind?


Ich würde sagen, es bleiben ein bis drei Stunden am Tag für mein Kind. Das ist nichts womit ich mich anfreunden kann. Und wie sieht es mit der Energie aus, die ich Abends noch habe um mich auf mein Kind einzulassen. Kann ich mich überhaupt entspannt zu ihm setzen, meine Gedanken von der Arbeit so schnell abschalten und mich in die Welt des Kindes hineinzuversetzen? Ich bin der Meinung, dass dies nicht funktioniert und es wird nur ein schwammiges "drum kümmern", aber kein echtes Wahrnehmen und Ernstnehmen meines Kindes. Ich frage mich wie das geht, wenn erst mal Schulzeit ansteht und ich dann Abends noch bei den Hausaufgaben helfen möchte. Ich denke, dass ich die Energie nicht aufbringen kann um mich dann noch mit Mathematik und Geschichte auseinanderzusetzen.

Es ist aber meine Aufgabe als Vater. Es ist meine Aufgabe, auf die Bedürfnisse, Probleme und Interessen einzugehen. Sind diese Dinge nicht wichtiger als die Interessen meines Arbeitgebers? Welche Rolle will ich als Vater spielen, wenn mein Kind erwachsen ist? Welche Beziehung wollen wir miteinander haben? Ich will eine gute Beziehung haben zu meinem Kind, dass heißt, eine offene, ohne Tabus, eine ehrliche, eine gleichberechtigte, wo sich jeder gegenseitig wahr und ernst nimmt. Um sich dies zu erarbeiten benötigt man viel Kraft und Zeit. Wer eine langjährige gute Beziehung (egal ob zum Partner oder zu einem Freund/Freundin) hat, weiß vielleicht was es bedeutet, diese zu pflegen und sich damit auseinanderzusetzen. Wieso soll es also bei einem Kind anders sein? Kann ich diese Kraft und Zeit aufbringen, wenn ich 5/7 meines Lebens mit arbeiten zubringe? Nein, sicher nicht. Und das ist ein Problem.

Was muss sich ändern?


Ich wäre schon mal froh, wenn man den Begriff "Arbeit" grundsätzlich hinterfragt. Wer sagt, dass eine 5-Tages-Woche mit 40-Stunden und mehr richtig ist? Ist das richtig, dass wir dort so viel Zeit verbringen? Macht uns die Arbeit überhaupt Spaß? Wer hinterfragt, was wir auf Arbeit tun? Machen wir da sinnvolle Sachen, die dazu dienen ein zufriedenes und sicheres Leben zu führen? Wollen wir wirklich so lange weg sein von unserer Familie? Das geht hauptsächlich erst mal Männer an, weil diese durchschnittlich nur ein bis zwei Monate Elternzeit machen, wie es die ZEIT geschrieben hat: "Knapp 80 Prozent aller Väter, die überhaupt in Elternzeit gehen, entscheiden sich für die kürzeste mögliche Dauer – zwei Monate."

Mal die finanzielle Notwendigkeit außer Betracht gelassen: wieso lassen die Männer ihre Frauen alleine mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe der Kindererziehung, der Freundschaftspflege oder der Organisation des Haushalts? Sie gehen in ihr Büro und sind raus aus der ganzen familiären Verantwortung. Und das kann ein Vater auch nicht am Wochenende aufholen. Gut, die Männer bringen Geld rein, aber kann man sich von dem Geld ein zufriedenes und glückliches Kind kaufen? Sind Ausflüge, Reisen, materielle Geschenke, Geldgeschenke, etc. die Erfüllung zum Glück? Mitnichten. Das was Kinder brauchen sind Väter die da sind, die sich um einen kümmern, die ihr Kind wahrnehmen, auf es eingehen können, mit dem Kind die schlechten und guten Zeiten durchleben. Die sich einfühlen können in die Lage des Kindes, die ihre Kindheit nicht verdrängt haben, sondern das Kind verstehen. Das alles ist mit Geld unbezahlbar. Ein dickes Bankkonto bringt keine glücklichen Kinder hervor.

Frauen sind da aber genauso gefragt, entweder, weil sie selbst schnell wieder arbeiten gehen oder ihren Männer nicht die Meinung zu sagen trauen. Oder, weil Frau und Mann erst gar nicht über die Situation reden und die gesellschaftliche Situation so hinnimmt. Aber nicht immer ist das, was die Masse macht, auch richtig. Jeder muss sich seines eigenen Verstandes bedienen und Situationen hinterfragen, auch wenn sie einen noch so richtig vorkommen.

Das Wirtschaftssystem dient nicht dem Menschen


Die Vollzeitarbeit, die unser Familienleben zerstört, ist kein privates Problem, sondern ein politisches. Also muss sich auch politisch was ändern. Es müsste ein Umdenken stattfinden, was die Familie, den Menschen ansich, wieder in den Mittelpunkt stellt und nicht das Geld. Hier muss klare Kritik am Kapitalismus geäußert werden. Der Kapitalismus frisst Menschen auf, raubt die Zeit der Menschen, entzweit Menschen und bringt eine fremdschädigende Konkurrenz mit sich. Kann diese Wirtschaftsform also dazu beitragen, glücklich und zufrieden zu werden? Wenn ich nur von meinem Kind getrennt bin? Ganz bestimmt nicht.

Ich war mal mit einem Kollegen essen und dieser fragte mich, woran ich gerade denke. Ich dachte in dem Moment an meinen Sohn, was er denn jetzt machen würde. Wo er mit Mama ist, wie es ihm geht, ob er gerade lacht oder schläft. Das sagte ich auch zu meinem Kollegen und dieser fragte zurück, ob das wie Verliebtsein ist, ein Kind zu haben. Damit hat er recht, es ist wie verliebt sein.

Mein Sohn spielt eine zu wichtige Rolle, ich trage Verantwortung für ihn. Dafür, dass er ein zufriedenes und sicheres Leben führen kann. Dazu gehört auch eine starke Familie und ich muss für ihn da sein. Die Arbeit hält mich davon ab und bringt mich in eine emotionale Misslage.

Was denkt ihr anderen Männer dazu? Könnt ihr Parallelen erkennen oder ist euch diese Thematik vollkommen fremd?

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