Cyborgs, also die Verschmelzung von Mensch und Maschine, gab es bislang nur in Science-Fiction-Klassikern. Doch mit zunehmendem Einsatz von Exoskeletten in Medizin, Industrie und Militär wird die Fiktion allmählich zur Wirklichkeit. Im Gender-Diskurs als neue Emanzipationschance gefeiert, geht die Verbindung von Exoskeletten mit dem menschlichen Gehirn weit darüber hinaus. So weit, dass Menschen mit Superkräften schon bald unter uns weilen könnten.

„Ich benutze keine Technologie, ich bin Technologie.” So sagt es der erste Mensch der Welt, der sich rühmen darf, der erste offiziell anerkannte Cyborg einer Regierung zu sein – und der eine implantierte Antenne im Schädel hat. Als Neil Harbisson 2004 seinen Pass erneuern wollte, wurde ihm von den britischen Behörden mitgeteilt, dass das nicht möglich wäre, da er auf seinem Passfoto mit einem elektronischen Gerät zu sehen war und dies nicht erlaubt wäre.

Nach wochenlanger Korrespondenz akzeptierten die britischen Behörden die implantierte Antenne als ein Teil von Neils Körpers und ließen ihn auf dem Bild seines Reisepasses mit dem elektronischen Auge erscheinen. Der welterste Pass, der einen „Cyborg” abbildet, wurde damit offiziell anerkannt.

Seine Antenne benutzt der Avantgarde-Künstler und Cyborg-Aktivist übrigens, um damit Farben zu erkennen bzw. zu hören, denn Harbisson ist Farbenblind. Oder besser gesagt: war es. Mittlerweile übersetzt seine Antenne hörbare Schwingungen in seinem Schädel, um ihm Informationen mitzuteilen. Dazu gehören Messungen von elektromagnetischer Strahlung, Telefonanrufe, Musik sowie Videos oder auch Bilder und sogar Signale von Satelliten, die in Klänge übersetzt und damit für Harbisson verständlich werden.

Seit 2004 ist Neil Harbisson der erste – von öffentlicher Seite – anerkannte Cyborg. Quelle: commons.wikimedia.org

Gewiss: Als Cyborg mag Neil Harbisson ein Einzelfall sein, doch was die Entwicklung von äußeren Hilfen anbelangt, die Menschen ihre Defizite minimieren oder gar überwinden lassen, befinden wir uns in einer Übergangsphase, in der Mensch und Maschine immer mehr verschmelzen: Exoskelette, also all jene externen Stützstrukturen, die gebaut werden, um unseren Organismus auf die Sprünge zu helfen, dringen vermehrt in allerlei Lebensbereiche vor: Medizin, Militär, Industrie, Sport und ja: schlussendlich werden diese, den Menschen optimierenden, verstärkenden „Hilfen” auch unser Privatleben (mit-) bestimmen.

Oder gibt es einen Grund, warum der kerngesunde Ottonormalverbraucher, auf diese technischen Errungenschaften verzichten sollte, wenn er dadurch schneller laufen, schwerer heben, effizienter arbeiten und womöglich länger leben könnte?

Wann wird ein Mensch zum Cyborg?

Eine entscheidende Frage, die danach drängt, sich den gegenwärtigen Stand von Cyborg-Technologie genauer anzusehen und Schlüsse daraus zu ziehen, was die Verschmelzung von Mensch und Maschine in Zukunft bedeuten mag?

Doch zunächst stellt sich die Frage, was einen Cyborg eigentlich ausmacht? Der Begriff Cyborg bezeichnet einen Hybrid aus lebendigem Organismus und Maschine. Zumeist werden damit Menschen beschrieben, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt werden. Der Name ist ein Akronym, abgeleitet vom englischen cybernetic organism: kybernetischer Organismus.

Ein Beispiel für das „Berkeley Lower Extremity Exoskeleton”: Das Leergewicht des Skeletts muss vom Träger nicht gestemmt werden. Das Exoskelett trägt sich quasi selbst. Quelle: flickr.com

Künstliche Exoskelette kommen als Orthesen seit langem in der Medizin zum Einsatz. Seit einiger Zeit wird auch an Exoskeletten gearbeitet, bei denen es sich um am Körper tragbare Roboter oder Maschinen handelt, die die Bewegungen des Trägers unterstützen beziehungsweise verstärken, indem zum Beispiel Gelenke des Exoskeletts durch Servomotoren – spezielle, bewegliche Elektromotoren – angetrieben werden.

Heute wird in den USA und Japan an solchen künstlichen Exoskeletten für das Militär (Berkeley Lower Extremity Exoskeleto) und für zivile Einsatzbereiche (Das Exoskelett HAL-5) rege geforscht.

Neueste Anwendungen der HAL-5-Technologie finden sich als (Lauf-)Unterstützung bei der Japanischen Polizei, bei Erntearbeitern in Japan und bei Bankmitarbeitern in Japan – und zwar zum Anheben von Geldpaketen. Klingt nach einem schlechten Scherz, ist es aber nicht.

Cyborgs unter uns?

Die grundsätzliche Idee, technologische bzw. künstlich hergestellte funktionale Bestandteile in organische Systeme einzufügen, ist allerdings wesentlich älter als der Begriff Cyborg selbst. In der Science-Fiction-Literatur, aber auch in der Kunst finden sich Cyborg-Phantasien schon lange bevor der Begriff geprägt wurde.

Der Begriff stammt aus dem Kontext der Raumfahrt: Der österreichisch-australische Wissenschaftler Manfred Clynes und der US-amerikanische Mediziner Nathan S. Kline verwendeten den Begriff in einem gemeinsamen Aufsatz in den 1960er Jahren das erste Mal und postulierten darin die technische Anpassung des Menschen an die Umweltbedingungen des Weltraums.

Der Künstler José Clemente Orozco malte Hernán Cortés im Jahre 1938 als Maschinenmensch. Die amerikanischen Ureinwohnern hielten die spanischen Invasoren jedoch für Götter. Cortéz kam sicherlich gut gerüstet – doch er war weder Gott noch Cyborg. Quelle: commons.wikimedia.org

Menschen mit technischen Implantaten wie Herzschrittmachern, künstlichen Gliedmaßen, komplexen Prothesen oder Implantaten in Auge und Ohr sind dem Begriff nach bereits Cyborgs. „Ungefähr 10 Prozent der aktuellen Bevölkerung der USA sind im technischen Sinn Cyborgs”, schreibt die Forscherin N. Katherine Hayles im Cyborg Handbook.

Medizinische Anwendungen

Womöglich werden derer bald mehr. Die sog. Rehabilitationsrobotik lässt daran keinen Zweifel: Es häufen sich klinische Studien, die eine Rehabilitation mit Hilfe von Exoskeletten bei Lähmungen erforschen – etwa mit dem Ekso GT von Ekso Bionics, mit Cyberdynes HAL und mit Argos ReWalk.

Patienten, die ein solches Exoskelett tragen sehen ein wenig wie humanoide Roboter aus, oder auch wie Robocop aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Film. Schritt für Schritt werden von diesen unterstützenden Maschinen gesteuert – über die eigenen Bewegungen des Oberkörpers. Verlagert man das Gewicht nach links, setzt der Gehroboter das rechte Bein nach vorn. Motoren setzen die Gelenke der Maschine in Gang. Mehr als 20 Kilogramm wiegt so eine Apparatur, aber die spürt man nicht, denn: das Gerät trägt sich selbst.

Auch wenn es medizinischen Fortschritt bedeutet: Robocop lässt grüßen. Quelle: commons.wikimedia.org

Ein Gerät des US-Herstellers Ekso Bionics ermöglicht es Menschen, die durch Unfall oder Schlaganfall gehbehindert oder gelähmt wurden, wieder aufrecht zu stehen und zu laufen. Die meisten nutzen es in der Rehabilitation, um verloren gegangene Bewegungsmuster wieder zu erlernen und in die alte Beweglichkeit zurückzufinden.

Der medizinische Wert davon ist offenkundig: Die Bewegungen mit Exoskelett beugen einer Knochenrückbildung vor und regen Herztätigkeit, Kreislauf und die Funktion von Magen, Darm und Blase an. Möglich, dass der Rollstuhl in naher Zukunft nur noch in Museen zu sehen sein wird.

Wirklich nur eine Hose?

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung hat Hal in ihr Rehabilitationsprogramm aufgenommen: als erste Maschine ihrer Art, die nicht mehr von Physiotherapeuten von außen per Fernbedienung bewegt, sondern durch die Nervenimpulse des Trägers selbst gesteuert wird.

„Aufgrund dieser intrinsischen Bewegungsweise ist die Rehabilitation effektiver”, sagt Thomas Schildhauer, Medizinprofessor an der Universität Bochum. Er testet Hal gerade im Berufsgenossenschaftlichen Uni-Klinikum Bergmannsheil. „Durch die Stimulierung des neuronalen Systems kann der Patient nach einer Lähmung das eigenständige Laufen wieder erlernen. Diese Wirkung ist bisher bei keiner anderen Technologie nachgewiesen.”

Was in Deutschland als Novum erscheint, gehört für viele in Japan bereits zum Alltag. Cyberdyne, die Firma, die uns HAL bescherte, hat ihren Sitz natürlich im Land der aufgehenden Sonne und einen – wie sie es nennen – „Roboteranzug” entwickelt, der im Grunde aussieht wie eine „zweite Hose”, die man sich überstülpen kann.

Gleichwohl handelt es sich um ein Exoskelett, das eine Unterstützung für das Skelett und für die Muskeln, die es bewegen, bietet. Solange es auf seinem Gestell hängt, wirkt es wie eine mechanische Hose. Doch wenn ein Mensch hineinschlüpft, erwacht es zum Leben.

Und tatsächlich: Die Elektronik des batteriebetriebenen Geräts erkennt und trainiert schwächelnde Muskeln. Auf die Haut geklebte Elektroden erkennen die bioelektrischen Signale des Nervensystems, die bei physisch benachteiligten Menschen nicht mehr zur gewünschten Muskelreaktion führen. Via Elektromotor hilft Hal diesen Signalen auf die Sprünge, was soviel heißt wie: Der Mensch steuert die Bewegungen mit seinem Gehirn, HAL übersetzt die Signale in Kraft und Bewegung.

Um dies an einem Beispiel zu konkretisieren: Wenn Sie diese mechanische HAL-Hose tragen und sich eine kiloschwere Last an eines Ihrer Beine binden, dann erkennt HAL das – die Gehbewegung einschränkende – Gewicht als Handicap und gleicht diese Unwucht automatisch aus. Gratulation: Sie sind jetzt Cyborg.

In Japan ist diese mechanische Hose jedenfalls schon so berühmt, dass neugierige Besucher des Cyberdyne-Showrooms in Tsukuba rund 15.000 Yen, also rund 130 Euro, nur dafür bezahlten, das Gerät wenige Minuten Probe zu tragen, oder besser gesagt: zu laufen.

HAL ist in, soviel ist klar. Liebhabern von Stanley Kubrick Filmen mag der Begriff HAL ohnehin geläufig sein, denn das ist der Name des Bordcomputers im Sci-Fi-Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum. Ein Zufall? Wohl kaum.

Die Firma Cyberdyne heißt genauso wie ein Roboterhersteller aus den Terminator-Filmen. Als der Film Iron Man – sie wissen schon: Robert Downey Jr. mit dem wild um sich schießendem Exoskelett – seine Premiere in Japan feierte, führte Cyberdyne vor dem Kinosaal seinen Roboteranzug vor. Ob Prophetie oder kluges Marketing, sei dahingestellt.

Was soll man dazu auch sagen: Der Firmengründer, Professor Yoshiyuki Sankai ist eben ein großer Science-Fiction Fan, der sein Fantum ernst nimmt und aus „Fiktion” greifbare Wissenschaft zu machen versucht. Nach eigenen Aussagen gegenüber der ZEIT habe ihn besonders das Buch I. Robot vom Roboter-Allvater Isaac Asimov – der Typ mit den drei berühmten Robotergesetzen – inspiriert: „Als ich es las, wusste ich, dass ich Wissenschaftler werden musste. Ich wollte unbedingt Roboter bauen.”

Mittlerweile ist Yoshiyuki Sankai schon einen Schritt weiter und entwickelt Technologien, die Menschen zu Robotern oder Roboter zu Menschen machen? Das ist wohl eine Frage des Standpunkts: Ja, was machen diese den Menschen verstärkenden Techniken aus uns?

Roboterhand wie in I. Robot?

Im Film I. Robot trägt der Protagonist, gespielt durch Will Smith, eine Roboterhand, die ihm übermenschliche Stärke verleiht. Und auch das gibt es längst nicht mehr nur im Film – mal abgesehen von der übertriebenen Stärke vielleicht. Tübinger Wissenschaftler setzten unlängst erstmals ein hirngesteuertes Exoskelett ein, um eine gelähmte Hand im Alltag wieder benutzbar zu machen.

Wie schon bei HAL, gilt auch bei der Cyborg-Hand: Die Nervenimpulse des Trägers besorgen die Steuerung, auf gut deutsch: Das menschliche Gehirn, also der Mensch selbst, sendet die Impulse, die von der Technik korrekt interpretiert und in eine fließende Bewegung umgesetzt werden.

Was bisher nur im Labor oder in speziellen Klinikräumen mit sperrigen Geräten erfolgreich war, ist nun im Alltag geglückt: Ein internationales Forscherteam unter Tübinger Leitung hat bei sechs gelähmten Patienten erfolgreich eine Roboterhand getestet, die umfassend funktioniert:

„Wir sagen den Patienten immer, stellt Euch vor, Ihr bewegt Eure Hand, und während sie sich das vorstellen, messen wir die elektrischen Impulsveränderungen im Gehirn, dann können wir diese Bewegungsmuster dekodieren und übersetzen in Steuersignale für so ein Exoskelett,” so erklärt Dr. Surjo Soekadar, Psychiater und Neurowissenschaftler an der Universitätsklinik Tübingen seinen Erfolg.

Noch funktioniert das Ganze nur mit einer Art Badekappe, auf der die Elektroden befestigt und via ein Kabel-Wirr-Warr zwischen Kopf und Arm verbunden sind. Das aber soll sich ändern: In Zukunft, so Dr. Surjo Soekadar, könnten die Elektroden in einem als Kopfhörer getarnten Band stecken, die Signale würden per Funk übertragen und als Steuerungscomputer könnte das Smartphone herhalten.

Neu daran ist nach Soekadars Angaben, dass dem Patient keine Mikroelektroden operativ ins Gehirn eingesetzt werden und der Roboterarm auch außerhalb des Labors funktioniert. Ob das System zur Marktreife kommt und tatsächlich Betroffene erreicht, hänge allein davon ab, ob sich Investoren in der Industrie finden ließen, sagt Soekadar.

Industrielle Anwendungen

Für Anwendungen in der Industrie, etwa zum Heben schwerer Lasten, haben sich bereits mehrere Investoren eingefunden: Exoskelette wie Panasonics Powerloader oder Percros Body Extender haben längst Marktreife erlangt. Auch Cyberdyne bietet dafür Varianten von HAL an und Hyundais 2017 vorgestellter H-WEX soll ohnehin das Heben schwerer Lasten ungemein erleichtern.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Rüstung, die Menschen aussehen lässt, als wären sie einem Comic voller Superhelden und Schurken entsprungen. Auf den zweiten Blick erleichtern Exoskelette wie der Robo-Mate des Fraunhofer Instituts Industriearbeitern die anstrengende Arbeit: Diese Cyborg-Technik reduziert das Gewicht einer Last, die Arbeiter heben müssen, um bis das zehnfache und schützt dabei die Wirbelsäule vor abrupten Bewegungen und risikoreichen Belastungen.

Was wohl seine Berechtigung hat, denn: Mehr als 25 Prozent der Europäer ziehen sich laut Statistik eine Rückenverletzung bei der Arbeit zu.

Die Software-Spezialistin Maja Hadziselimovic sagt hierzu: „Diese Technologie hilft uns, Rückenverletzungen vorzubeugen, und uns in verschiedenen Richtungen den ganzen Tag lang zu bewegen. Außerdem gibt sie Männern und Frauen die Möglichkeit, ebenbürtig körperlich schwere Arbeit zu bewältigen”. Die Technologie hätte so das Potential, absolute Gleichheit zwischen Mann und Frau herzustellen.

Cyborg und das Geschlecht

Die Verflechtung der Cyborg-Technologie mit dem Gender-Diskurs ist sogar wesentlich älter als man auf den ersten Blick vielleicht glaubt: Bereits im Jahr 1985 publizierte die US-amerikanische Naturwissenschaftshistorikerin Donna Jeanne Haraway ihr Cyborg Manifesto, einen postmodernen feministischen Essay, der die möglichen Schnittstellen von Mensch und Maschine illustriert und die Emanzipationschancen näher beleuchtet, die eine „Cyborgisierung” mit sich bringt, denn: Cyborgs fallen aus dem üblichen Kategoriedenken heraus.

Wie dem auch sei: Die neuen Exoskelette scheinen diese abstrakten „Emanzipationschancen” nun konkret werden zu lassen. Und was die Einsatzmöglichkeiten von solchen kraftverstärkenden Arbeitsrüstungen anbelangt, scheint diesem doch recht neuen Markt noch Großes bevorzustehen:

„Zum Beispiel im Logistikbereich, auf Flughäfen, beim Koffer-Handling – da besteht großer Bedarf. Oder auch im medizinischen Bereich, bei der Pflege älterer Menschen. Auch Krankenschwestern, die schwere Patienten heben müssen, wären sehr froh über ein Robo-Mate-System,” so Peter Heiligensetzer, der Managing Director der zugehörigen Software der Robo-Mate-Technologie.

Um die Kraft des Exoskeletts verlässlich messen und steuern zu können, nutzt man eine Methode aus der Medizin:

„Wir nutzten die Oberflächen-Elektromyographie, die Messung der elektrischen Aktivität bestimmter Muskeln”, erklärt Biomedizin-Ingenieur Stefano Toxiri. Und weiter: „Wir befestigen Elektroden auf der Haut, die die Aktivität der Muskeln darunter messen. Daraus ziehen wir dann die nötigen Informationen über die Intensität der Kraft, die in einem bestimmten Moment gebraucht wird, und die dann vom Exoskelett hinzugegeben wird.”

Militärische Anwendungen

Mehr Effizienz, mehr Kraft, weniger Verletzungen – kein Wunder, dass im militärischen Bereich das Interesse an der Exoskelett-Technologie groß ist, um nicht zu sagen: weit fortgeschritten. Dass das Heben schwerer Lasten per Exoskelett auch für das Militär hilfreich sein kann, erkannte Hyundai früh und doch machte bislang die Technik eines Konkurrenten von sich reden.

Im Rahmen des Future Soldier Programms finanzierte die DARPA Berkeley Robotics Entwicklung des Berkeley Lower Extremity Exoskeleton (BLEEX), aus dem über Zwischenschritte dann im Jahr 2009 der von Lockheed Martin lizenzierte Human Universal Load Carrier – oder kurz: HULC – hervorging. Bei dem Namen fällt es verdammt schwer, nicht an HULK zu denken – und Marvel-Kenner wissen, zu was der grüne, tobende, tragische Held alles fähig ist: Zerstörung en masse.

HULC – Der Hulk fürs Militär

Aber zurück in die echte Welt: Der reale HULC leitet das Gewicht eines schweren Rucksacks über ein Exo-Beinskelett in den Boden ab, so dass der Träger auch in schwierigem Gelände Lasten bis zu 90 kg verletzungsfrei transportieren kann. Das soll Soldaten, die mit HULC ausgerüstet werden, ermöglichen, auch mit viel Ausrüstung und ohne große Ermüdung zu Felde zu ziehen.

Bei herkömmlichen, modernen Kampfanzüge ist das Gewicht alles andere als beliebig, deshalb setzt die NATO nun auch vermehrt auf Exoskelette. Konventionelle Körperpanzerungen basieren auf Keramikeinlagen aus Borcarbid oder Siliciumcarbid. Diese Körperpanzerung bietet dabei im Brustbereich Schutz vor Gewehrmunition mittleren Kalibers.

HULC oder HULK? Was ist nun furchteinflößender? Quelle: pixabay.com

Allerdings nimmt durch derartige Anzüge die Fitness überproportional ab. Da die Körperpanzerung mit etwa 15 kg ein Großteil des Tragegewichtes ausmacht und zusätzlich der Rechner im Rücken, Batterien und Kommunikationsausrüstung sowie Ersatzmunition am Körper getragen wird, spielt das Gewicht, das auf den Körper drückt, eine große Rolle.

Die notwendige Flüssigkeitszufuhr muss logischerweise auch gewährleistet sein und so sind die meisten Kampfanzüge mit einem Trinksystem ausgestattet.

Prinzipiell kann die Mobilität eines Soldaten kaum gesteigert werden, da diese physiologisch beschränkt ist. Nur durch die Gewichtsreduzierung der Ausrüstung ließe sich hier nachhaltig eine Verbesserung erzielen, allerdings nur auf Kosten der Kampfkraft – also Panzerung, Munition, Supplies, etc. Eine der Lösungen hierfür trägt die vier besagten Buchstaben: HULC

Das System arbeitet hydraulisch und batteriegetrieben. Zur Gewichtsreduzierung sind die Komponenten aus einer Titanlegierung gefertigt. Die Reichweite fällt mit 20 km bei 4 km/h noch bescheiden aus, allerdings sind Sprints mit ca. 16 km/h möglich und das bei einer maximalen Traglast von ca. 90 kg. Das System allein wiegt 20 kg ohne Batterien.
Langfristig soll das Exoskelett durch eine Brennstoffzelle versorgt werden, um 72-Stunden-Einsätze zu ermöglichen. Die französische DGA vergab im Jahr 2010 einen Zwei-Millionen-Auftrag an die Firma RB3D, um ein Exoskelett für die Truppe zu entwickeln. Das System ist mittlerweile in der dritten Version serienreif und trägt den wenig bescheidenen Namen HERCULE.

Bislang konzentriert sich die Entwicklung im rein militärischen Bereich schwerpunktmäßig auf das Heben und den Transport schwerer Lasten. Ob das weiterhin so bleibt?

Die Ausstellung und Konferenz Future Soldier, welche alle zwei Jahre von der NATO veranstaltet wird, und zum Ideenaustausch zwischen Staaten und Industrie dient, wird in Zukunft zeigen, wo die Reise hingeht. Die etymologischen Anspielungen auf kraftstrotzende Superhelden (HULK) und antike Schläger-Halbgötter (Herkules) sprechen zumindest mehr für kriegerische und weniger für logistische Anwendungsszenarien.

Superkräfte für den Ottonormalverbraucher?

Zugegeben: Noch bewegen sich Menschen mit Exoskelletten wie HULC oder HAL vergleichsweise langsam, aber wer garantiert, dass das auch in Zukunft so bleibt? Ein Blick auf verwandte Technologien lässt erahnen, welches Potenzial – womöglich auch welche Gefahr – noch in dieser Technik stecken.

Zum Beispiel „Superflex”: Dieser mit Sensoren und Motoren ausgestatteten Anzug, untermauert sämtliche Bewegungen seines Trägers. Dabei wird die EXO-Klamotte jedoch nur dann aktiviert, wenn die Sensoren feststellen, dass die Unterstützung wirklich benötigt wird. Anwendungen sind möglich bei Militär, Industrie und bei Hilfen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, berichtete Technology Review („Kraftanzug statt Gehstock”).

„Für eine alternde Bevölkerung oder Menschen mit Einschränkungen aufgrund von Verletzungen oder Krankheiten könnte der Anzug Mobilität und Unabhängigkeit zurückbringen und somit die Lebensqualität erhöhen”, sagt Volker Bartenbach, ein Exoskelett-Forscher an der ETH Zürich, der nicht an Superflex beteiligt ist.

Dieser Roboter zum Anziehen kann jede Bewegung des Menschen unterstützen. Eine in die Jahre gekommene Frau könnte ihren bettlägerigen Mann vom Wohnzimmer ins Bett tragen. Ein Heimwerker könnte, ohne fremde Hilfe und ohne große Mühen, Holzbalken oder Steinplatten für seinen Umbau in Position bringen. Generell wäre die Arbeit auf dem Bau eine andere und ein Umzug von hüben nach drüben deutlich weniger anstrengend.

So weit ist die Technik zwar noch nicht, aber: Forscher, unter anderem des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), arbeiten daran, ein Ganzkörper-Exoskelett zu entwickeln. Es soll annähernd den gesamten Bewegungsraum des menschlichen Körpers erfassen.

„Zum Aufbau dieses Systems werden derzeit neue Methoden zur Regelungstechnik und zum Leichtbau erarbeitet”, sagt Elsa Andrea Kirchner vom Projekt „Capio”, in dessen Rahmen das Exoskelett am Robotics Innovation Center des Bremer DFKI entwickelt wurde.

Kirchner ist schon jetzt von den Ergebnissen der Exoskelett-Forschung angetan. „Wir sind weit gekommen in den vergangenen Jahren”, sagt sie. „Es werden Dinge machbar, die vor nicht langer Zeit noch undenkbar gewesen wären.”

Noch im Jahr 2017 soll ein Exoskelett entwickelt sein, das die Hüften beim Heben und Tragen entlastet. Japanische Forscher wollen es verstärkt in der Landwirtschaft einsetzen. Die Hälfte der im asiatischen Land Beschäftigten ist älter als 65 Jahre. Diese Menschen können physische Unterstützung gut gebrauchen.

Was allen Exoskeletten bislang gemein ist: Die Bewegungen sollen fließend vom tragbaren Roboter auf den Menschen übertragen werden. Dazu reicht es nicht aus, dass Sensoren das Zusammenziehen der Muskeln erfassen und daraus ableiten, wie sich der Mensch in Bewegung setzt.

Freier Wille und so!

Vielmehr müssen diese Systeme viel früher wissen, welche Bewegungen der Mensch gleich ausführen möchte. „Sonst arbeitet man immer ein Stück gegen das System, denn die Motoren würden stets einen spürbaren Moment zu spät reagieren”, sagt Elsa Andrea Kirchner. „Die Idee ist es vielmehr, ein System zu entwickeln, das den Nutzer unterstützt, ohne dass man ihm explizit sagt, was man möchte.”

Die Forscher umgehen das Problem daher mit einem Trick: Die Sensoren setzen nicht erst bei den Muskeln an, sondern schon im Gehirn. Deutlich bevor der Mensch seine Muskeln auch nur angespannt hat, ist die Entscheidung für eine bestimmte Bewegung im Kopf bereits gefallen. Dank der Hirn-Detektoren weiß die Maschine davon und kann sich frühzeitig darauf vorbereiten, welche Bewegung der Exoskelett-Träger gleich ausführen wird.

Für Philosophen, die sich mit dem freien Willen des Menschen auseinandersetzen, sicherlich keine leichte Kost, deren Verdauung einige Flaschen Rotwein kosten wird.

Tesla- und Space-X-Chef Elon Musk hat sich seine Gedanken dazu bereits natürlich gemacht: Angesichts des Voranschreitens künstlich intelligenter Systeme drohe die menschliche Spezies in die Bedeutungslosigkeit abzudriften, so die Silicon-Valley-Ikone. Sein Vorschlag für die Errettung des Menschen: Science-Fiction. Wir müssten mit Computern verschmelzen, um gegen den Vormarsch der Maschinen zu bestehen. Ein seltsames Fazit: Damit Cyborgs dem Menschen nicht gefährlich werden, soll er selbst zu einem werden.

Wie diese neue Spezies, ein sogenannter Cyborg, aussehen soll, das erklärte Musk im Rahmen der World Government Summit in Dubai: „Mit der Zeit wird es wahrscheinlich eine Annäherung zwischen biologischer und digitaler Intelligenz geben.“

Worauf es ankommen werde, sei die Qualität der Breitband-Verbindung zwischen Mensch und Maschine, so Musk. Auf die Geschwindigkeit also, „mit der die Verknüpfung zwischen deinem Gehirn und der digitalen Version deiner Selbst“ gewährleistet werden könne.

Doch zum Glück gibt es keinen ernsthaften Grund anzunehmen, dass Elon Musk mit seiner Prophetie recht behalten wird. Gleichwohl: Seine Aussagen zeugen von einer Technik, deren disruptive Kräfte weder auf die leichte Schulter zu nehmen noch wegzudiskutieren sind.

Denn gewiss ist: Der eingangs erwähnte Neil Harbisson wird nicht der einzige Mensch der Welt bleiben, der von offizieller Stelle als Cyborg anerkannt werden muss.