Jodel

INNEN - ZIMMER - ABEND

Es ist Freitag und das Wochenende steht vor der Tür. Ich liege im Bett, durchforste das Internet nach neuen Artikeln über Technik und Musik, während nebenher auf meinem Fernseher eine Serie auf Netflix läuft. Welche, ist schon fast egal, Hauptsache es läuft etwas und es ist nicht still. Der Blick auf die Uhr, es ist jetzt 19 Uhr, zeigt mir, dass ich irgendwie noch vier Stunden totschlagen muss, bevor es auf die Piste geht. Um 23 Uhr wird bei einer Freundin vorgeglüht - um 23 Uhr! Wer kommt denn auf die Idee dann erst vorzuglühen, da will ich schon in Richtung Club unterwegs sein? Bin ich tatsächlich schon so alt? Erschreckende Erkenntnis. Ich will aber unbedingt mit, weil ich die Leute sehen und mich ablenken will. Ich überlege daher, wie ich die Zeit bis dahin totschlagen soll und komme zu dem Ergebnis, dass wohl ein Schläfchen ganz gut wäre, als ich eine SMS von einer Freundin empfange. Wir haben uns vorher schon darüber ausgetauscht, dass 23 Uhr eigentlich zu spät ist um zu beginnen. Nun schreibt sie mir also, ob ich nicht Lust hätte mich mit ihr um 21 Uhr am Pub zu treffen. Freitag? 21 Uhr? - da ist doch Karaoketime. Klar bin ich dabei! Ihre zweite Nachricht lässt nachdenkliche Falten und einen Ausdruck der Verwunderung auf meiner Stirn entstehen. "Treffe mich da mit ein paar von Jodel"
Was zur Hölle ist das denn? Ich komme innerhalb von Sekunden drauf, dass es eine App sein muss, aber was macht man da? Ist es eine Dating-App wie Tinder und sie traut sich nicht alleine zu einem Date? Kann eigentlich nicht sein, da sie sich ja mit ein "paar von Jodel" trifft. Ich kenne es nicht, habe nichts zu tun und es klingt, als könnte es spannend werden. Ich sage also zu, möchte von ihr später aber noch erklärt bekommen was dieses Jodel ist.

INNEN - BUS - ABEND

Bierdose

Wir haben gerade unser Wegbier angestoßen und der Bus setzt sich in Bewegung, da fängt sie schon an: "Also Faultier, Jodel ist eine App..."
Was ich dann höre, lässt mich staunen und macht mich nachdenklich. Computer, Smartphones, Internet, Social Media. Alles Dinge, mit denen ich aufgewachsen bin und bei denen ich behaupte, mich ganz gut auszukennen. Ich hatte damals direkt WhatsApp, als andere sich noch die Augen ausheulten, dass es einen ganzen Euro im Jahr als Gebühr kostet. Was sie Jahre vorher den Telefongesellschaften an SMS Gebühren abgedrückt haben, war weit über einem Euro im Jahr. Aber da WhatsApp nunmal eine App ist und Nachrichten über das Internet schickt, wurde erwartet, dass die App komplett kostenlos ist - verrückt.
Facebook, Twitter, Instagram. Alles Dienste, die mir nicht unbekannt sind, die ich alle schon genutzt habe. Der Markt der sogenannten SocialApps ist aber derart groß und schnelllebig, dass ich da tatsächlich nicht mehr mitkomme. Bewusst zog ich mich letztes Jahr aus Facebook und WhatsApp zurück und bereue es keine Sekunde, was die Entscheidung für mein Stresslevel und meine geistige Gesundheit bedeutet. Andererseits bin ich dadurch auch kein Teil mehr der sogenannten Social-Community. Einerseits ist das kein Problem für mich, andererseits verfolge ich so auch nicht mehr die Funktionsweisen und Neuerungen der Netzwerke.


Aber was ist jetzt eigentlich Jodel? Nun, da stellen wa uns ma janz dumm und sagen, dass Jodel ein großes schwarzes Brett ist. Und dieses möchte mit "Inhalt" gefüllt werden. Brauchte man früher noch einen Edding um in einer Toilettenkabine seinen hochphilosophischen Schiss an die Wand zu kritzeln, während der andere in der Schüssel landet, öffnet man nun ganz entspannt Jodel und kritzelt, was das Zeug hält. Man kann dort alles schreiben, was einem einfällt, oder man gerade gesehen hat. So gibt es dort haufenweise Witze, sarkastische Kommentare und viel Blödsinn. Es ist eigentlich eine große Plattform zum anonymen Lästern. Alles dort ist anonym und für alle Nutzer des Netzwerkes einsehbar. Die Beiträge können, wie bei Twitter, mit Hashtags versehen werden, ob der besseren Auffindbarkeit. Die Verbreitung der App ist recht stark auf Studenten beschränkt, trat die App bei ihrem Start doch an, Studenten ein Sprachrohr dafür zu geben, was auf ihrem Campus gerade so spannendes abgeht.
Aber auch solche Gesichten gibt es dort zu finden - hier

Besagte Freundin hatte also einen Beitrag mit einem Hashtag entdeckt, welcher das Wort Karaoke  beinhaltete. Da sie auch keine große Lust hatte bis 23 Uhr alleine und ohne Alkohol zu sein, fragte sie mich also, ob wir da hingehen. Und so sitzen wir hier nun und fahren zum Hauptbahnhof. Ich werde noch über den Umstand aufgeklärt, dass Codenamen für uns vereinbart wurden. Ich bin der Elch - "...wegen der schönen Alliteration(mit ihrem Codenamen)"
 

AUSSEN - BAHNHOF -ABEND

Wir steigen also aus und suchen nach Fuchs, Hase, Igel und den drei kleinen Schweinchen. Ok, bis auf Fuchs sind die restlichen Codenamen von der Redaktion geändert worden. Meine Begleitung erspäht zwei Personen, die am ausgemachten Treffpunkt stehen und auf ihre Smartphones starren. "Das müssen sie sein, die Farbe des Kleides passt und sie starren auf ihre Smartphones", sagt sie mir kichernd. Alles klar, dann wollen wir mal einen Versuch wagen. Treffer, versenkt! Das sind tatsächlich zwei der übrigen vier Personen von Jodel. Da das eine Mädel rote Haare hat, schließen wir einfach mal messerscharf, dass sie der Fuchs sein muss. Bingo! Heute läuft es aber. Die richtigen Namen habe ich schon wieder so schnell vergessen wie Vokabeln in Latein, was aber nichts macht, da wir ja die Codenamen haben. Wir warten noch auf eine weitere Person, die sich in unmittelbarer Nähe befinden muss und stellen fest, dass wir alle erstaunt darüber sind, dass diese Form der Verabredung tatsächlich geglückt zu sein scheint.

Karaoke

Tonight!

#Jodelkaraoke

INNEN - PUB - ABEND

Zielstrebig steuer ich die Treppe hoch zum Karaokeland an, um dann festzustellen, dass dort eine Absperrung hängt. Heute also doch kein Karaoke? Das wäre schon eine feine Ironie, wenn ausgerechnet heute keine planmäßige Karaoke stattfindet. Mein verwirrt suchender Blick erspäht dann aber einen der Veranstalter, wie er mit Kabeln kämpft. Noch mal Glück gehabt, das ganze findet heute einfach im Erdgeschoss statt. Nachdem ich kurz einen der Veranstalter begrüßt habe, setze ich mich zu den anderen an den Tisch. Wir stellen uns reihum ein bisschen vor, was wir so machen und ob wir öfter beim Karaoke sind und es stellt sich heraus, dass zwei aus der Jodelgruppe tatsächlich öfter hier sind und auch mich vom sehen und singen her kennen. Mir sagen sie leider gar nichts. Bis auf den Typen, der kommt mir schon etwas bekannt vor.
Wir haben nun schon 21:20 Uhr und langsam werden wir etwas unruhig, da wir heute ja einen engen Zeitplan haben. Zwei Stunden für Karaoke ist eigentlich ein Witz. Wenn man Glück hat, hat man dann einmal gesungen. Aber auch nur, wenn man ganz am Anfang abgibt. Und genau das rate ich jetzt auch allen Mitgliedern unserer kleinen Runde. Nur das Mädel neben uns ziert sich etwas, da sie Angst hat als erstes zu singen. "Quatsch, das passiert nicht. Es haben schon andere abgegeben, unter anderem ich", sage ich. Sie lässt sich überreden und schreibt ihren Song auf.

Schnapsglas

Während es nun schon 21:30 Uhr ist, ich rausgefunden habe, dass sie Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte studiert und wir da direkt ein Themenfeld haben, worüber wir reden können, erscheint der erste Sängername auf der Leinwand. Es ist der Name von dem Mädel, mit dem ich mich gerade über Schauspielmethoden und Yoga unterhalte und die auf gar keinen Fall zuerst singen wollte, den Zettel aber auf meinen Rat hin doch schon abgegeben hat. Mir ist das ganze jetzt etwas unangenehm, ihr aber noch viel mehr! Wie sich herausstellt, waren die restlichen Zettel einfach nur untergegangen, sodass der zweite der beiden Veranstalter dachte, es gäbe bisher nur eine Sängerin. Das erzählt er auch schön, während sie schon auf der Bühne steht und wartet. Dort kann sie auch noch etwas länger warten, da es nun auch noch technische Probleme gibt. Mir wird es ziemlich heiß und ich möchte am liebsten in meinem Stuhl versinken. Jetzt muss die Arme da ganz alleine rumstehen und als erste singen, was sie auf gar keinen Fall machen wollte. Fängt ja gut an!
Der Abend entwickelt sich gut. Unsere Gruppenmitglieder stellen sich als sehr freundlich und als noch bessere Sänger heraus. Habe auf einer Karaokeveranstaltung noch nie so gut ein Lied von Frank Sinatra gehört, wie heute. Die Biere kommen und gehen und jeder wartet auf seinen zweiten Song. Nach den ersten Sängern trauen sich dann auch viele andere, woraufhin die erste Runde immer lange werden kann. Die erste Runde Schnaps für 1€ geht durch den Pub und ich lerne etwas neues. Das Mädel, welches Theaterwissenschaft studiert, kann nicht mit uns trinken. Der Grund ist eine Glutenallergie. "In Schnaps ist also auch Gluten?" "Ja, kann sein", klärt sie mich auf und fragt eine der Kellnerinnen. Meiner Meinung nach hätte sie sie da auch gleich nach dem Beweis der Riemannschen Vermutung fragen können. Eine Antwort auf beide Problemstellungen ist gleichermaßen unwahrscheinlich. Um Fair zu sein, ich wusste bis vor 20 Sekunden von möglichem Gluten in Schnaps auch nichts , hebt aber dennoch nicht meine Meinung über die Qualität des Personals in diesem Pub. Es folgen noch zwei weitere Runden Schnaps und langsam läuft uns die Zeit davon. Die erste Runde Sänger ist extrem groß heute Abend, sodass ich meinen Plan, noch ein zweites Mal zu singen, begraben muss. Es ist mittlerweile schon 23:15 Uhr, als ich nachdrücklich aufgefordert werde, endlich auszutrinken. Wir wollen ja noch beim Vorglühen vorbeischauen. Also trinke ich aus und wir verabschieden uns von unseren Jodelbekanntschaften. Wir einigen uns darauf, dieses Experiment fortzuführen und lassen dafür den Hashtag bestehen. "Ein schöner Abend bis hierhin", denke ich mir, als wir in eine feucht- fröhliche Partynacht entschwinden.

 

Es grüßt herzlich

Das Faultier

Club-party

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