Letzte Woche war ich auf dem Herbstforum Altbau in Stuttgart. Die Fachtagung für Energieeffizienz, energetische Gebäudesanierung und erneuerbare Energien wird von Zukunft Altbau veranstaltet und eigentlich wollte ich hier auf meinem Blog gar nicht darüber berichten. Warum ich doch einen Blogpost schreibe? Weil Professor Dr. Jürgen Manemann, Direktor des Forschungsinstitutes für Philosophie in Hannover, in seinem Vortrag diese Frage stellte: Warum treffen wir im Hinblick auf die Herausforderungen des Klimawandels nicht die Entscheidungen, die wir uns wünschen?
Tja, warum tun wir das nicht? Diese Frage fand ich sehr interessant, noch spannender waren allerdings die Antworten, die Manemann parat hatte. Dieser bewegende Vortrag begleitet mich nachhaltig und da ich finde, dass dies ein sehr wichtiges Thema ist, möchte ich Euch darüber berichten.
Die kurze Antwort zu seiner Frage formulierte Jürgen Manemann gleich am Anfang: Weil uns der Zukunftssinn abhanden gekommen ist. Wie Zukunftssinn? Zukunft ist halt alles, was noch kommt. Aber warum handeln wir dann nicht so, dass wir in dieser Zeit, die da noch kommt, auch ein lebenswertes Umfeld vorfinden? Die Ressourcen sind endlich. Das ist eine Erkenntnis, die wir jetzt schon lange mit uns herumtragen. Das ewige Wachstum unserer Wirtschaft ist schon längst Vergangenheit, auch das sollte angekommen sein. “Der Traum vom immer weiter so und permanenten Wachstum ist zu Ende”, das muss uns doch kein Philosoph sagen, das wissen wir doch selbst. Unser Konsumverhalten schadet uns in mehrerer Hinsicht und die Berge an Müll, die wir hinterlassen, können gar nicht mehr bewältigt werden. Warum tun wir nichts dagegen?
Warum handeln wir nicht angesichts des Klimawandels? Klick um zu TweetenBesonders junge Menschen, so der Professor, ermangele es an Träumen, Zielen und Wünschen. No future? Das war doch ein Slogan der Punkbewegung in den 80ern. Scheint aber wieder ziemlich aktuell zu sein. Auch ältere Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass die Zukunft etwas ist, was zwar kommt, was sie aber nicht beeinflussen oder steuern können. Im Vortrag wurde der Vergleich mit einer Rolltreppe gezogen, die ihre Passagiere unermüdlich transportiert, ohne dass diese darauf einwirken. Es herrscht eine tiefe Verunsicherung: die Zukunft kommt – klar, aber was wird dann sein?
Professor Manemann beschreibt unsere Auffassung von Zukunft als eine Verlängerung der Ist-Zeit in die Zukunft. Man möchte, dass alles so bleibt, wie es ist. Das sei aber nicht Zukunft. Zukunft habe immer mit etwas Neuem zu tun. Die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, löst Angst bei den Menschen aus. Doch diese Angst ist eigentlich gut. “Ohne das Gefühl von Angst gibt es keine Zukunft”, erklärt der Philosoph. Das kennt jeder: man möchte oder muss etwas ändern, lässt Vertrautes zurück, entwirft neue Pläne. Doch klappen die Vorhaben auch? Werden sie zu einer Verbesserung führen oder steht man danach erst recht dumm da? Diese Unsicherheit macht einem Angst. Keiner kann sagen, was die Zukunft bringt. Die Zukunft kann nicht abgesichert werden, alte Regelungen und gewohnte Muster gelten nicht mehr. Alles ist neu – Zukunft.
Ohne Angst gibt es keine Zukunft. Klick um zu TweetenDoch der Mensch ist scheinbar so gestrickt, dass er dieses Wagnis nicht so gerne in Angriff nimmt. Lieber in Angst erstarren und so weiter machen wie vorher. “Wir haben Angst, uns mit der Angst auseinanderzusetzen“, so Jürgen Manemann. Das erscheint keine sinnvolle Taktik zu sein, denn die Zukunft ist unumstößlich, ob wir wollen oder nicht. Jeder hat zwei Möglichkeiten: Entweder man stellt sich oder man wird irgendwann dazu gezwungen.
Zurück zum Klimawandel. Wir entwickeln Techniken, um unsere Häuser, die Fortbewegung und die Produktionen energieeffizienter zu machen. In unserer hoch technologisierten Welt suchen wir das Heil in der Technik. Was, wenn da nicht der Lösungsansatz liegt? Jürgen Manemann fordert einen Zukunfts- und Kulturwandel, da sonst die Gefahr bestehe, dass wir Techniken entwickeln, die uns nicht weiterbringen. “Der Klimawandel zeigt, dass mit unserer Kulturlandschaft etwas nicht stimmt”, so die Worte des Professors. Und da ist jeder von uns gefragt.
Der Klimawandel wird nicht durch immer ausgefeiltere Technologien aufgehalten. Klick um zu TweetenWir Menschen leben, als würde uns die Erde gehören und als könnten wir mit ihr machen, was wir wollten. Hominisierung nennen die Fachleute das. Doch wir brauchen eine Humanisierung, in der wir wieder Mitgefühl und Empathie zeigen. Professor Manemann ist überzeugt: “Wenn wir mit dem Körper fühlen, laufen wir nicht Gefahr die Realität zu verlieren.” Solange wir nur ein Knöpfchen drücken, um Menschen umzubringen, diese aber nie zu Gesicht bekommen. Solange wir abstrakt über eine Klimaerwärmung reden, aber genau wissen, die echten Katastrophen werden sich erst am anderen Ende der Welt zeigen. Solange wir mit jedem Einkauf Müll produzieren und nicht sehen müssen, welch Leid er beispielsweise den Tieren in den Weltmeeren bringen kann. Solange scheint die Vogel-Strauß-Taktik zu funktionieren.
Es gehe nicht nur um Mitleid, sondern darum, mit Leidenschaft und Betroffenheit zu Handeln. Und an diesem Punkt sind wir alle gefragt. Hier hilft kein Schimpfen auf die Regierung und kein Fingerzeig auf andere. Hier gestaltet jeder mit. Wenn ich das Große nicht ändern kann, dann beginne ich bei mir im Kleinen. Das fängt damit an, dass wir unseren Konsum überdenken. Uns überlegen, was wir wirklich brauchen. Suffizienz heißt hier das Schlagwort, das wenig geläufig ist. Hier erfahrt Ihr in einem anderen Blogbeitrag von mir mehr darüber. Professor Manemann warf den Begriff Resilienz in den Raum. Resiliente Menschen sind nicht die coolen starken Einzelkämpfer, sondern die Einfühlsamen, die in ihrer Trauer, ihren Zweifeln oder ihrem Frust nicht stecken bleiben, sondern etwas unternehmen. Dafür brauchen wir Bindungen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft, einen Sinn im Leben und die Übernahme der Verantwortung für unser Leben. Das ist nicht das Wort zum Sonntag, sondern die Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft.
Resiliente Menschen handeln mit Leidenschaft und Betroffenheit. Klick um zu TweetenIch bin aus dem Vortrag und der Diskussion, die wir in der Pause im kleinen Kreis geführt haben, mit der Gewissheit gegangen, dass ich darüber schreiben werde. Egal, was in der Zukunft kommt, es wird das sein, was wir daraus machen. Also fangen wir da an, wo wir Einfluss haben – in unserer Familie, unserem Wohnumfeld, im Umgang mit Tieren, bei unserem Konsumverhalten und stellen wir uns der Angst vor dem Unbekannten! Was meint Ihr?
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