Am Samstag, den 17. September 2016, wurden in 25 Städten der Region Stuttgart insgesamt 40 Lichtkunst-Projekte eröffnet. Das ganze Lichtkunstfestival steht unter dem Motto “Aufstiege”, angelehnt an die Topografie der Gegend mit ihren vielen “Stäffele”, Anstiegen und Treppen. Bis zum 9. Oktober können die Installationen noch in den jeweiligen Städten besichtigt werden. Ich war in Backnang bei der Eröffnung der “Schilfrohre” des Dresdner Künstlers Sebastian Hempel dabei.
Nachdem sich das Wetter den ganzen Tag über entgegen der Wettervorhersage stabil gehalten hatte, fing es kurz vor der Eröffnung um 19.30 Uhr dann doch an zu regnen. Sehr schade für eine stimmungsvolle Eröffnung am Ufer der Murr unter abendlichem Himmel. Schade auch, dass der Lichtkünstler sich beim Verladen seiner Installation einen Hexenschuss zuzog, der sich nach dem Aufbau im kalten Wasser der Murr weiter verschlimmerte. Am Samstag musste Sebastian Hempel die Eröffnungsfeier leider absagen, weil er sich nicht mehr bewegen konnte. Erfreulich aber war, dass die Besucher trotz Wetter zahlreich zur Eröffnung der Lichtinstallation kamen. Einige fanden unter den drei großen Schirmen Platz, die der Bauhof aufgestellt hatte, andere kuschelten sich unter ihre Schirme, Hartgesottene kamen mit Regencape und ein paar hatten es sich unter den Schirmen der Bar Poco Loco gemütlich gemacht. Ort des Geschehens war die Freitreppe an der Bleichwiese. Lichtkünstler Hempel selbst war vor sechs Monaten in die Murrmetropole gereist und wählte das Wehr an der Bleichwiese als Aufstellungort aus.
Lichtinstallation Schilfrohre von Sebastian Hempel in Backnang. Klick um zu TweetenSeine erste Lichtinstallation im Wasser sollte das rauschende Nass, dass sich mit weißer Gischt über die Stufe des Wehres hinabwälzt, mit Licht erfüllen. Achtzehn senkrechte Leuchtstäbe aus Polycarbonat, alle zwei Meter hoch, wurden genau an der Kante der Wehrstufe platziert. Viele Backnanger haben sicherlich, wie ich, die bei Tageslicht unscheinbaren Stäbe im Wasser stehen sehen und waren sehr gespannt darauf, wie sie illuminiert wirken. Nach einer kurzen Ansprache des Kultur- und Sportamtsleiters Martin Schick war es dann soweit und die Stäbe erstrahlten in weißem Licht. Die leuchtenden Rohre sollen an die Bewegungen von Schilfrohr erinnern und sich wie dieses im Wind und durch die Wellen hin und her bewegen. Leider hatte sich nicht nur der Himmel in Form von Regen gegen die Kunst verschworen, sondern auch den Bewegungsantrieb für die Lichtinstallation versagt. Die starr stehenden Lichtstäbe in ziemlich grellem Weiß ließen bei dieser ungemütlichen Witterung keine Stimmung aufkommen. Die Besucher standen etwas ratlos am Ufer. Die “Stecken da im Wasser” leuchteten zwar nun, aber sonst passierte nichts. Auch die Veranstaltung war damit etwas abrupt nach nur 15 Minuten zu Ende. Die Dame vor mir drehte sich fragend um: “War’s das? Ich bin doch gerade erste gekommen.”
Vielleicht sind wir alle schon zu sehr durch fulminante Fernsehshows, allzeit dauerbeschallte Sportevents und illuminierte Feste verwöhnt. Ich bin kein Freund davon, aber an dieser Stelle hätte ich mir tatsächlich wenigstens etwas Musik aus der Konserve gewünscht. Dass der Künstler nicht anwesend sein konnte, war natürlich Pech. Aber hätte nicht ein weiterer Redner oder ein anderer Programmpunkt auf die Schnelle einspringen können? Vielleicht findet die Stadt ja einen Weg, dass Lichtkünstler Sebastian Hempel zu einem anderen Zeitpunkt sein Kunstwerk in der Murr persönlich vorstellen kann. In anderen Städten finden zusätzlich zur Eröffnung auch Künstlergespräche statt. Ich werde mir die “Schilfrohre” jedenfalls noch ein paar Mal in verschiedenen Abendstimmungen anschauen. In der Hoffnung, dass sie dann zum Leben erweckt werden. In Bewegung kann ich mir gut vorstellen, dass die Leuchtstäbe ein schönes Bild mit zauberhaften Lichtreflexionen im Wasser ergeben. Ohne Bewegung fällt mir die Assoziation mit Schilfrohren schwer. Da sehe ich nur künstliche Leuchtrohre in zu grellem Licht. Das Interessante an Lichtkunst im öffentlichen Raum ist ja, dass sich unerwartete und unvorhersehbare Effekte einstellen, Licht in Bewegung kommt oder auch Orte in neuem Licht erscheinen.
Zahlreiche Lichtkunstwerke im Rahmen des Lichtkunstfestivals KulturRegion Stuttgart. Klick um zu TweetenWie die Initiatorin des Projekts und ehemalige Geschäftsführerin der KulturRegion Stuttgart Magdalen Pirzer in der Boschüre zum Lichtkunstfestival erläutert, “benötigt das Licht ein Objekt als Projektionsfläche, um sichtbar zu werden“. Umso spannender, wenn in der eigenen Stadt solche Lichtkunstwerke neue Glanzpunkte setzen und auch für Gesprächsstoff sorgen. Kunst soll ja nicht nur gefallen, sondern auch auf Themen hinweisen, Emotionen wecken, Diskussionen in Gang setzen und nicht zuletzt ein sinnliches Erlebnis bieten. Davon gibt es laut Dr. phil. Hartmut Böhme, emeritierender Professor für Kulturtheorie und Mentalitätsgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin, zu wenige in den Städten von heute. Hier herrsche zwar eine Flut an Reizen, aber eine “Armut an Erfahrung“. “Das Kunstwerk erfahrend, erfährt man sich selbst”, so seine Theorie. In der Praxis, und so auch in Backnang, führen Lichtkunstwerke die Menschen zusammen, lassen sie innehalten und einen alltäglichen Platz wie hier die Bleichwiese wortwörtlich im neuen Licht erleben. Toll, dass die Städte dafür Geld aufwenden und Lichtkunst erlebbar machen.
Auch bei den zahlreichen anderen Lichtkunstwerken im Rahmen des Lichtkunstfestivals 2016 sind besondere Momente garantiert. Für Joachim Fleischer, künstlerischer Leiter des Lichtkunstfestivals und selbst Lichtkünstler, geht es “um eine inhaltliche Auseinandersetzung über das Mittel Licht mit den ausgewählten Orten und dem Thema”. Aufgrund der kurzen Vorstellungen in der Broschüre finde ich persönlich den “Amandusfall” von Jürgen Meier in Bad Urach besonders spannend. Aus dem Mauerwerk des Kirchturms der Stiftskirche St. Amandus bricht Wasser hervor und ergießt sich auf dem Platz vor dem Turm. Sicherlich eine visuelle Täuschung mit fantastischer Wirkung! Auch der sich stetig bewegende Lichtteppich in der Unterführung der S-Bahn-Station Leinfelden macht mich neugierig oder die abstrakt-organischen Formen in verschiedenen Farben an der Felsenkapelle in Schwäbisch Gmünd. Dieses Erlebnis wird laut der Beschreibung von einer Orgelimprovisation des Gmünder Münsterorganisten Stephan Beck begleitet. Wer jetzt auch Lust bekommen hat, eines der Lichtkunstwerke anzuschauen, findet hier alle Ort auf einen Blick. Viele magische Lichtmomente wünsche ich Euch und schreibt mir doch einen Kommentar über Eure Erlebnisse.
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