Ja Jan, jetzt ist es soweit, jetzt schreibe ich tatsächlich mal einen Herr Ü. Post an Dich, statt in der dritten Person über mich an irgendwen. Oder besser, ich schreibe wie versprochen an Dich, was früher ein Herr Ü. Text geworden wäre, einer zu den viertausend hier in diesem Blog.
Fast ein Jahr lang hat das jetzt nicht geklappt, was Dir in den Tod versprochen war, wahrscheinlich habe ich mein Leben auskommentiert oder eben doch gelernt, das für die Welt nicht wichtig ist, was ich von ihr halte.
Schweigen war oft edler. Aber mir fehlt was.
Die Differenzierungen und auch das Wissen, das im Geschriebenen selbst liegt. Der Text weiss mehr als man selbst. Und so weiss der mehr über sich, der schreibt. Vielleicht habe ich aber auch genug geschrieben, um nun genug über mich zu wissen. Sei es drum, ich schreibe wieder, doch nicht mehr hier im Schnellschreibstil und auch nicht mehr über den Wahnsinn um mich herum. Oder genauer, ich schreibe nicht mehr über mich im Wahnsinn um mich herum. Ich stelle mich nicht mehr dar und das tut mir sehr gut. Dein Tod spielt da eine Rolle und die Begegnungen danach. Das Tagebuch, in dem jeder mitlesen kann, wurde einfach zu banal. Es war ja immer auch ein "sich selbst erfinden". Da man das ja immer neu tun muss, war meine Erfindung der letzten Jahre, mich der Welt zu stellen, ohne zweites Ich im Blog. Mir geht es ganz gut. Und übrigens wieder voll abstinent, aber so was von voll, ich sag Dir.
Doch von meinem ersten Klau Hoffmann Konzert will ich Dir, meinem verlassenen und toten Freund erzählen. Eigentlich noch mitten in unser aller Überschwang hinein, mit dem wir vor dreissig Jahren die Liveplatte von ihm nachzusingen begannen, deren Titel ich heute noch alle auswendig kann, begannst Du uns und damit auch Dich selbst dafür auszulachen. Diese Platte, die Licht in unser dunkles Gera brachte und so viel Sehnsucht dorthin wo alles so fertig war, war Dir früh zu kitschig und irgendwie verdächtig. Und zu stasigängig, was wir damals aber nicht mal ahnen konnten, nur vorahnen höchstens. Sie knallte nicht wie der Hammer Wecker auf uns nieder, aber sie war schön und irgendwie Berlin, wenn auch in Hamburg aufgenommen. Während für Euch alle der Hoffmann bald mal rum war, hörte ich ihn, ja um es ehrlich zu sagen, am Ende dann heimlich weiter. Zumindest redete ich nicht darüber. Beim Windelwaschen schwelgte ich in "Estaminet", noch nicht wissend, dass Fluchten zu meinem Leben gehören werden und das die Flucht, weg von der Familie mit den Windelkindern und ihrer tapferen Mutter, die bis heute übelste würde. Und doch lag das Flüchten schon in der Luft wie dieses Lied. Bei der Armee kam dann die Flucht in Lieder, Bücher und Unmengen Alkohol. Ich erinnere mich an eine Nacht im grossen Zelt, aus dem Radio mit DT64 kam, "Geh nicht fort von mir", das erste Mal, das ein Lied eine Erinnerung war. Eine Erinnerung an bessere Zeiten. Mit zwanzig. Mein Gott, DDR.
Dann kam die Wende und die Ernüchterung der Hoffmanschen Schlagerphase und ich vergass ihn. Doch wie alle die alten Helden tauchte er immer wieder auf, eigentlich bei jeder Verliebtheit, bis das langsam besserte, und ich richtig Englisch lernte. Trotzdem kam er immer wieder und eine seiner kitschigsten Platten wurde fünfzehn Jahre später mein Überlebenselixier bei einer grossen Entliebung. Ich erzählte Euch das damals in Erfurt und die armen Windelkinder mussten, nun schon ziemlich halbwüchsig, auf unseren Fahrten den leidenden Vater mit dem Klausimausi schmachten hören. "Ich will Leben!"
Und irgendwie war Hoffmann vielleicht eine der Ursachen dieser brachialen Trennung, die mich in ganz neue Tiefen stiess. "Komm wir reiten den Wind" hatte ich wohl ein paar mal zu oft gespielt. Das ich das Lied bis heute für einen Drogensong halte, lag an meinem Drogenkonsum, nicht an dem Lied.
Nachdem ich nun meine Helden immer wieder gehört habe, den Wecker dieses Jahr gleich zweimal hintereinander, die Stones und Cohen bisher dreimal und immer sehr, sehr weit vorne stehend, hat sich das mit dem Hoffmann nie aufgedrängt. Ich war nie da wo er sang. Für Cohen bin ich ins Flugzeug gestiegen, für die Stones war ich mal im Madison Square Garden verabredet* , jeden Weg für Dylan und bei Amy kam ich zu spät und sah nur noch ihr Sterbehaus als übelster Totenstalker.
Also waren jetzt hundert Kilometer für Klausimausi keine Sache.
Sehr schön weit vorn, die idealen fünf Meter aus der vierten Reihe. Und dann kommen die Lieder wie alte Freunde, die man schon sehr lange kennt, er sang früh "Estaminet" und da fielen mir die Windeln ein. Die tolle Show des Entertainers überraschte mich nicht, sie war so gut und besser als auf den DVD, die Stimme voll, die Geschichten lustig und der ganze Mann enorm präsent. Es hat mich nicht vom Stuhl gehauen, wie es die Namen weiter oben immer wieder vermögen, aber es war sehr schön und irgendwie sehr traurig. Da sehe ich einem Sänger zu, der viele, viele Stunden in meinem Kopf anwesend war, der mich oft beflügelt und bestätigt hat, definitiv ein Teil meines Lebens ist und dann steht da einfach ein sehr guter Sänger. Ein mir sehr fremder Mann. Das war traurig. Ein alter Freund, der einen gar nicht kennt. Es ist nicht so einfach wie bei Grönemeyer, den man für seine heutigen Liveshows hassen kann, diese abgezirkelte, dreist verlogene Pseudoemotionalität für zehntausende im Stadion. Und Hoffmann ist nicht so jenseits von allem wie Dylan, Jagger, Richards, Cohen oder auch Lindenberg. Es spricht für Hoffmann, das er einem nah ist. Und dann ist traurig, was man eigentlich wusste, auch wenn der Mann vielleicht lebt was er da singt, ist das völlig egal, denn es ist eine sehr gut gemachte, sehr intime, doch immer eine Show. Was auch sonst.
Er war "nur" mit Hawo Bleich am Flügel und Gitarre da und doch ist der alte Freund vom Lagerfeuer ein Showman, mehr Sinatra als Seidel. Das ist ein Kompliment an den Sänger, denn die Traurigkeit ist meine und hat wenig mit ihm zu tun. Ich fand es schön und sehr vertraut, eben wie einem alten Freund zuhören, Du hättest es gehasst, gerade weil er so ein guter Entertainer ist. Eine zarte Rampensau.
Für mich wars schön und Du bist tot.
So ist das Leben.
PS. Geschickt wie immer, war die Reise nach Lörrach (die Stadt, die so heisst wie sie ist) gekoppelt mit einem Besuch bei einem Erfinderingenieurunternehmerfreund um Ideen auszutauschen, Geschäfte anzudenken, Geld zu backen. Nach dem Konzert bemerkte ich, dass ich die Diskussion mit ihm interessanter als das Konzert gefunden hatte. Ich habe mich wohl von Klaus Hoffmann emanzipiert. Jetzt, mit fast fünfzig.
*klingt gut, doch kam es nicht dazu.