Zwei Grad sind nicht mehr zu schaffen

Das Klimaschutzabkommen von Paris wurde als historisch bejubelt (vgl. Süddeutsche, FAZ). Die Weltgemeinschaft verpflichtet sich darin, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 2°C und wenn möglich sogar auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Wie dies genau geschehen soll, blieb auf der Konferenz in Paris jedoch offen. Im Juni 2015 vereinbarten die G7-Staaten, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40% bis 70% gegenüber 2010 zu reduzierten und bis 2100 die Weltwirtschaft sogar völlig zu dekarbonisieren. Dies klingt sehr ermutigend und erweckt den Anschein, als ob die Menschheit endlich den Kampf gegen den Klimawandel aufnähme. Wenn man sich jedoch ein wenig mit den Zahlen beschäftigt, ist ziemlich klar, dass das 2-Grad-Ziel nicht mehr zu schaffen ist.

Im Factsheet 3/2009 des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) aus dem Jahr 2009 wird ein sogenanntes Globalbudget für CO2-Emissionen vorgeschlagen. Danach dürften von 2010 bis 2050 global nicht mehr als 750 Mrd. Tonnen CO2 emittiert werden, wenn mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 der globale Temperaturanstieg 2°C nicht überschritten werden soll. Wie ein paar einfache Rechnungen zeigen, ist dieses noch verbleibende Budget lächerlich gering.

Der WBGU schlägt vor, dieses Globalbudget an CO2-Emissionen gleichmäßig auf die Weltbevölkerung zu verteilen. Dies kann man für ungerecht halten, da die industrialisierten Staaten den Löwenanteil aller bisherigen CO2-Emissionen verursacht und ihren Wohlstand auf der Verbrennung fossiler Energieträger aufgebaut haben. Aber vermutlich ist die Gleichverteilung des noch verbleibenden Budgets ein pragmatischer Ansatz, der die besten Chancen auf allgemeine Zustimmung haben könnte. Wenn man also eine gleichmäßige Verteilung der noch möglichen Emissionen auf die aktuelle Weltbevölkerung akzeptiert, ergibt sich bei einer Weltbevölkerung von 6,9 Mrd. Menschen im Jahr 2010 und einem Globalbudget von 750 Mrd. t CO2 ein individuelles Budget für jeden Menschen von 108,7 t CO2, das insgesamt bis zum Jahr 2050 verbraucht werden kann.

Um einschätzen zu können, wie gering dieses Budget ist, muss man sich ansehen, wie viel CO2 gegenwärtig emittiert wird. In Deutschland liegt der jährliche Ausstoß nach Angaben des Umweltbundesamtes bei knapp 11 t pro Kopf. In den sechs Jahren 2010 – 2015 hat jeder Deutsche im Schnitt also bereits 66 t von seinen im Jahr 2009 verfügbaren 109 t verbraucht. Aktuell verfügt jeder in Deutschland also noch 43 t, die bis 2050 reichen sollen. Wenn sich am aktuellen Verhalten nichts ändert, ist das komplette deutsche Budget aber schon in vier Jahren verbraucht. Ab dann verschulden wir uns praktisch bei den Entwicklungsländern.
Wie sieht es in anderen Ländern aus? Die USA hatten laut WBGU im Jahr 2009 noch ein Gesamtbudget von 35 Mrd. t. bei einem Ausstoß von ca. 6 Mrd. t im Jahr 2008. Nach Daten der U.S. Energy Information Administration (EIA) sanken die CO2-Emissionen in den USA bis 2012 auf 5,3 Mrd. t. Bei durchschnittlich 5,3 Mrd. t pro Jahr von 2010 – 2016 werden die USA ihr Budget dieses Jahr komplett verbraucht haben. Der weltgrößte Emittent von CO2 ist China, dessen jährlicher Ausstoß 20% – 25% der Gesamtemissionen ausmacht. Nach EIA-Zahlen erzeugte China im Jahr 2012 8,1 Mrd Tonnen, wobei diese Zahl den wahren Ausstoß vermutlich unterschätzt. Angenommen, diese Zahl wäre richtig und China würde seinen Ausstoß nicht erhöhen, so hätte China sein Budget im Jahr 2026 erschöpft. Dies ist aber unrealistisch. Nach eigenen Angaben will China seine CO2-Emissionen bis 2030 noch steigern und erst danach senken. Wenn man von einer moderaten jährlichen Steigerungsrate von 3% ausgeht – zwischen 2008 und 2011 lagen die jährlichen Steigerungsraten bei ca. 9% – wird China sein Budget im Jahr 2023 verbraucht haben. Da es in den meisten OECD-Staaten ähnlich aussieht wie in Deutschland, werden die OECD und China, die gegenwärtig ca. zwei Drittel der globalen CO2-Emissionen verursachen, spätestens innerhalb der nächsten zehn Jahre ihre jeweiligen Budgets aufgebraucht haben. Bei weiterem Ausstoß von Kohlendioxid werden dann die Konten der Schwellen- und Entwicklungsländer belastet. Das Gesamtbudget der Welt reicht auf Basis des heutigen Verbrauchs noch knapp 20 Jahre. Wenn die OECD-Länder und China aber spätestens in zehn Jahren anfangen, das Budget der restlichen Welt zu verbrauchen, schränkt dies den Spielraum dieser Länder ein, sich auf der Basis fossiler Energien zu entwickeln.

Es ist also klar, dass der CO2-Ausstoß in den industrialisierten Ländern so schnell wie möglich sinken müsste, wenn man das 2-Grad-Ziel noch erreichen wollte. Das Ziel der G7-Staaten, bis 2050 eine Reduktion um 40% bis 70% zu erreichen, ist nicht ambitioniert genug. Aber selbst das zu erreichen, wäre sehr schwer. In Deutschland dürfte bei einer Reduktion um 70% jede Person nur noch ca. 3,3 t pro Jahr erzeugen. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man sich ansehen, wie sich die CO2-Bilanz von Privatpersonen zusammensetzt. Dazu kann man diverse CO2-Rechner im Internet finden, z.B. von KlimAktiv, dem Umweltbundesamt oder von Naturefund. Nach den Angaben von KlimAktiv produziert jeder in Deutschland gegenwärtig im Durchschnitt 10,64 t Kohlendioxid pro Jahr. Tabelle 1 zeigt, wie sich dieser Gesamtbetrag auf verschiedene Entstehungsbereiche aufteilt.
CO2-Ausstoß
Die drei größten Posten sind der Konsum von Gütern (sonstiger Konsum), Mobilität und Heizung der Wohnung. Sie allein machen im Schnitt schon 7,34 t aus.

Angenommen, man sei guten Willens und wollte ernsthaft seine eigene CO2-Bilanz auf ein nachhaltiges Niveau bringen. Was müsste man dann tun? Zunächst müsste man sich eingestehen, dass das praktisch nicht mehr geht. Um die jeder Person in Deutschland noch zur Verfügung stehenden 43 t CO2 auf die nächsten 35 Jahre zu verteilen, dürfte man pro Jahr nicht mehr als 1,2 t CO2 verursachen. Selbst bei völliger Selbstaufgabe ginge das praktisch nicht mehr, da allein die öffentlichen Emissionen, die jeder Person in Deutschland zugerechnet werden und die man selbst gar nicht direkt beeinflussen kann, schon bei 1,08 t liegen. Aber berechnen wir einmal, auf welche Bilanz ein wirklich engagierter Klimaschützer kommen kann.

Seinen Heizbeitrag kann man durch ein Passivhaus auf null reduzieren. Durch Halbierung seines Stromverbrauchs und eine eigene Photovoltaikanlage käme man auf 0,03 t im Bereich Strom. Bei der Mobilität kann man einen Ausstoß von 0 t erreichen, indem man ausschließlich zu Fuß geht oder das Fahrrad verwendet und keine Reisen unternimmt. Um den Ernährungsbeitrag deutlich zu reduzieren, müsste man sich vegan, regional und saisonal ernähren und völlig auf Tiefkühlprodukte verzichten und würde dann 0,92 t erreichen. Den Beitrag des sonstigen Konsums kann man auf 2,25 t bringen, indem man sehr sparsam lebt, oft gebrauchte Gegenstände kauft und bei Neuanschaffungen auf Langlebigkeit achtet. In der Summe ergibt diese extreme Lebensweise aber immer noch einen CO2-Ausstoß von 4,27 t pro Jahr. Es ist kaum vorstellbar, dass der durchschnittliche Bürger in Deutschland auf absehbare Zeit bereit ist, solche Änderungen an seinem Lebensstil vorzunehmen.

Viele Menschen sind ja bereit, ihr Leben ein wenig zu verändern, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Man muss sich aber klarmachen, wie wenig Verhaltensänderungen bewirken, die von vielen schon als starke Einschränkung wahrgenommen werden. Nehmen wir zum Beispiel die Ernährung. Durch eine Verringerung des Fleischkonsums von 165 g pro Tag auf eine fleischarme Kost mit nur noch 50 g pro Tag erzielt man eine Einsparung von 0,09 t CO2 pro Jahr. Der Bezug von überwiegend regionalen Produkten ergibt eine Einsparung von 0,06 t und der völlige Verzicht auf Tiefkühlware gegenüber dem Konsum solcher Produkte an zwei bis drei Tagen pro Woche bringt 0,05 t. Oder schauen wir uns die Mobilität an. Bei einer Entfernung vom Wohnort zur Arbeitsstätte von 5 km könnte man sehr gut mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren. Wenn man komplett auf das Fahrrad umsteigen würde, könnte man bei 46 Arbeitswochen damit 2300 km Autofahrten einsparen. Bei einem unterstellten Durchschnittsverbrauch von 7,5 l pro 100 km vermeidet man damit aber nur 401 kg CO2 pro Jahr. Und das, obwohl man jeden Tag bei Wind und Wetter und unabhängig von der Tagesform mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt!

Auf der anderen Seite sollte man sich bewusst machen, wie sehr man sich seine Klimabilanz z.B. durch Flugreisen verdirbt. Im März 2015 meldete das Statistische Bundesamt einen neuen Rekord bei den Flugpassagieren von deutschen Flughäfen. 2014 sind demnach 81,6 Millionen Passagiere von deutschen Flughäfen aus ins Ausland geflogen. Statistisch hat also jeder Bürger in Deutschland eine Flugreise unternommen. Nach dem CO2-Rechner von Arktik.de generiert ein Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca 902 kg CO2 pro Person. Mit einem einzigen Urlaubsflug verbraucht man damit also fast das komplette jährliche Restbudget, das man einhalten müsste, wenn man das 2-Grad-Ziel erreichen wollte.

Dass wir in Deutschland oder die Menschen in den anderen reichen Staaten es schaffen, die Produktion von Treibhausgasen in absehbarer Zeit auf ein nachhaltiges Niveau zu senken, erscheint angesichts des Ausmaßes der erforderlichen Verhaltensänderungen sehr unwahrscheinlich. Es ist daher davon auszugehen, dass die reichen Staaten das ihnen zustehende Kohlendioxidbudget in sehr kurzer Frist erschöpft haben werden. Wir könnten uns nun damit trösten, dass die ganzen armen Staaten ihr Budget ja ohnehin nicht brauchen und daher an uns abtreten können. Damit ließe sich das 2-Grad-Ziel dann vielleicht doch noch erreichen. Aus einer solchen Sicht spricht der reine Egoismus, vor allem dann, wenn es keinen internationalen Mechanismus gibt, der einen gerechten Handel von CO2-Budgets ermöglichen würde. Da auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern die Zeichen auf Wachstum stehen, sollte man sich wenig Hoffnung machen, dass dort in ausreichendem Maß überschüssige Budgets verfügbar sind.
Welche Schlussfolgerungen sind aus diesen Betrachtungen zu ziehen? Soll man resignieren, weil man allein ja doch nichts ändern kann? Soll man auf die Chinesen zeigen, an denen alles hängt? Aus meiner Sicht muss man drei Schlüsse ziehen.

Der erste ist, dass wir unsere eigene Verantwortung akzeptieren müssen. Egal was in anderen Ländern geschieht, wir in Deutschland werden es nicht schaffen, mit dem uns zustehenden CO2-Budget auszukommen. Wir werden unseren gerechten Anteil bis 2020 komplett verbraucht haben und ab dann wird jeder einzelne in Deutschland eine Verantwortung dafür tragen, dass sich das Weltklima mit hoher Wahrscheinlichkeit um mehr als 2°C erwärmen wird. Damit sind wir alle auch verantwortlich für die zu erwartenden schlimmen Folgen. Diese Verantwortung wird auch nicht dadurch kleiner, dass die vielen Chinesen zusammengenommen viel mehr CO2 erzeugen als wir.

Die zweite Schlussfolgerung ist, dass wir uns trotzdem bemühen müssen, unsere CO2-Emissionen so viel wie möglich zu reduzieren. Das 2-Grad-Ziel ist ja keine Alles-oder-Nichts-Schwelle. Wir werden vermutlich den von der Klimaforschung als halbwegs sicher angesehenen Bereich verlassen und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit unumkehrbare Prozesse auslösen, die langfristig zu Selbstverstärkungseffekten führen werden. Trotzdem macht es einen Unterschied, ob wir am Ende des Jahrhunderts 2,5°C Temperaturerhöhung haben oder 5°C. Laut WBGU liegen die Prognose über den Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 zwischen 50 cm und 150 cm. Wie der WBGU in seinem Sondergutachten 2006 zur Zukunft der Meere schreibt (S. 47), sind bei einem Anstieg um 1 m allein in Europa 13 Mio. Menschen direkt betroffen. Weltweit leben derzeit mehr als 60 Mio. Menschen innerhalb der 1-Meter-Zone. Dass der Meeresspiegel weiter ansteigen wird, ist praktisch sicher. Die Frage ist aber, wie schnell und wie stark. Je mehr wir uns bemühen, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, desto mehr Zeit und Spielraum gewinnen wir für Gegenmaßnahmen.

Dies führt zur dritten Schlussfolgerung, nämlich der Einsicht, dass wir uns auf die Folgen des Klimawandels einstellen und vorbereiten müssen. Gesellschaftlich müssen wir anfangen, darüber nachzudenken, welche Folgen wir zu erwarten haben und wie wir ihnen begegnen wollen. Wenn wir dies nicht tun, werden wir von den Folgen zum Reagieren gezwungen werden, so wie es gegenwärtig durch den Flüchtlingszustrom geschieht. Bereits die aktuelle Situation wird als historische Herausforderung gesehen und droht – zusammen mit anderen Problemen – die Europäische Union zu sprengen. Doch das ist erst der Anfang. Man kann nicht erwarten, dass die globalen Flüchtlingszahlen in der Zukunft abnehmen werden. Sie werden steigen und ein großer Teil der Flüchtlinge wird nach Deutschland kommen wollen. Und dies ist nur eine der zu erwartenden Folgen.

Unabhängig von allen ethischen Überlegungen, die aus unserer Verantwortung für den Klimawandel folgen, sollten wir schon aus Eigeninteresse anfangen zu handeln. Selbst im optimistischen Fall müssen wir mit einer Klimaerwärmung um 2°C mit all ihren Auswirkungen bis 2050 rechnen. In seinen pessimistischen Szenarien hält das IPCC bis 2050 auch eine Erwärmung um 3,5°C bis 4°C für möglich. In Deutschland liegt das gegenwärtige Medianalter bei ungefähr 45 Jahren. Die Hälfte der gegenwärtigen Bevölkerung wird im Jahr 2050 also jünger als 80 Jahre alt sein und damit aller Wahrscheinlichkeit nach noch leben. Was wir heute versäumen, werden wir selbst in der Zukunft zu spüren bekommen.

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  1. Susanne

    „Nach dem CO2-Rechner von Arktik.de generiert ein Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca 902 kg CO2 pro Person. Mit einem einzigen Urlaubsflug verbraucht man damit also fast das komplette jährliche Restbudget, das man einhalten müsste, wenn man das 2-Grad-Ziel erreichen wollte.“

    >> Das ist erschreckend. Aber ist es die Lösung nicht mehr zu fliegen? Wir reden ja hier nicht mal über einen Flug über den großen Teich sondern nur nach Palma ud das 1 x pro Jahr???!!! Also wichtiger ist es die Oil Lobby zu sprengen und endlich Alternativen zuzulassen. Sie gibt es ja nur sind die Interessen nicht da. Nimm mal die Saudis her. Kleben zb an ihrem Öl obwohl sie soviel fläche haben und ihr ganzes Land mit Solarzellen beflastern könnten. Sie sind halt keine Innovationsführer was man auch daran sehen kann, dass sie noch immer an der mittelalterlichen Sharia festhalten!.

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    1. MR (Post author)

      Ich denke schon, dass es ein Teil der Lösung wäre, viel weniger zu fliegen. Wir können nun einmal nicht direkt beeinflussen, was die Saudis machen, und auch auf die „Öl-Lobby“ haben wir wenig Einfluss. Aber jeder einzelne kann sein eigenes Verhalten überdenken und ändern. Natürlich wäre es gut, politische und wirtschaftliche Strukturen zu ändern und die Gesellschaft nachhaltiger zu machen. Aber in demokratischen Gemeinwesen muss das die Mehrheit der Gesellschaft auch wollen und entsprechend handeln bzw. wählen. So lange die politischen Mehrheiten für einen Wandel nicht vorhanden sind, bleibt dem Einzelnen nur, sein eigenes Verhalten zu ändern und zu hoffen, dass dies anderen einen Anstoß gibt, ihr eigenes Verhalten zu überdenken.

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