Das große Dilemma

Aus ökonomischer Sicht ist das Problem des Klimawandels eigentlich recht einfach, was möglicherweise auch erklärt, warum sich so wenige Wirtschaftswissenschaftler damit beschäftigen. Es liegt ein typischer Fall einer negativen Externalität vor: Produktion und Konsum bestimmter Güter erzeugen Treibhausgase, die zur Klimaerwärmung führen. Da der Ausstoß der Treibhausgase zwar soziale, aber keine individuellen Kosten verursacht, versagt der Markt und die Produzenten und Konsumenten erzeugen zu viele Treibhausgase, weil sie die sozialen Kosten in ihren individuellen Kosten-Nutzen-Kalkülen nicht berücksichtigen.

Die Lösung für dieses Problem lernt jeder Student der Volkswirtschaftslehre im ersten Semester in den Grundlagen der Mikroökonomik kennen: die Pigou-Steuer. Die Pigou-Steuer reduziert oder vermeidet das schädliche Verhalten, weil sie zu einer sogenannten „Internalisierung der externen Effekte“ führt. Wenn also eine Steuer auf die Emission von Treibhausgasen erhoben wird, wird das sozial schädliche Verhalten des Individuums teurer. Dadurch entsteht für den einzelnen ein Anreiz, dieses Verhalten zu reduzieren und die sozialen Folgen seines Tuns bei seiner Kosten-Nutzen-Abwägung zu berücksichtigen. Das einzige Problem besteht eigentlich nur darin, die richtige Höhe der Steuer empirisch zu bestimmen, so dass die optimale Emissionshöhe erreicht wird.

Als Kronzeuge für diese allgemeine Aussage über die Ökonomen mag Ottmar Edenhofer dienen, der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), der von 2008 – 2015 die Arbeitsgruppe „Vermeidung des Klimawandels beim Weltklimarat IPCC leitete. Die ZEIT vom 26.11.2015 brachte ein Porträt von Edenhofer, in dem es heißt:

Edenhofer glaubt, dass sich der Klimawandel in den Griff bekommen ließe, wenn CO₂ einfach nur teurer wäre. Er fordert einen Mindestpreis für den Handel mit Treibhausgasen und eine Steuer auf Kohlendioxid. Er glaubt, woran fast alle Ökonomen glauben: an die Macht der Preise.

Vermutlich ist dieser Glaube an die Macht der Preise sogar richtig. Nach dem sogenannten „Gesetz der Nachfrage“ sinkt die nachgefragte Menge bei normalen Gütern, wenn ihr Preis steigt. Dieses „Gesetz“ ist eine der Grundsäulen der Volkswirtschaftslehre, die auch empirisch gut untermauert ist.

Auf Märkten bilden sich Preise aber aus dem Zusammenspiel zwischen Nachfrage und Angebot. Der Preis steigt, wenn Güter knapper werden, also das Angebot relativ zur Nachfrage kleiner wird. Im Fall der fossilen Brennstoffe als Hauptverursacher von Treibhausgasen ist damit aber nicht zu rechnen. Im ZEIT-Artikel über Edenhofer heißt es:

Neulich hat er ausgerechnet, warum Kohle teurer werden muss: Wenn nur ein Drittel der weltweit geplanten Kohlekraftwerke ans Netz gingen und die bestehenden angeschaltet blieben, dürften wir das Ziel verfehlen, das unter Klimaforschern als rote Linie gilt: die Erwärmung der Erde um maximal zwei Grad bis zum Jahr 2100.

Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, dürfte die Welt nur maximal ein Viertel der bekannten Vorkommen an fossilen Brennstoffen verbrauchen. Wenn alle fossilen Brennstoffe verbrannt werden, prognostizieren Klimamodelle eine Temperaturerhöhung um 8 Grad. Wir haben also ein Überangebot an fossilen Brennstoffen, so dass eine Preiserhöhung nur durch staatliche Interventionen wie eine Pigou-Steuer herbeigeführt werden kann.

Hier liegt aber nun ein großes Dilemma. Wenn Regierungen beschlössen, ausreichend Steuern auf Treibhausgase einzuführen oder fossile Brennstoffe stärker zu besteuern, dann könnte die Erderwärmung tatsächlich begrenzt werden. Sie tun es aber nicht. Der Grund dafür ist, dass Regierungen nicht außerhalb ihrer Gesellschaften stehen.

Regierungen tun das, was ihre Bevölkerungen akzeptieren. Das gilt sowohl in demokratischen als auch in autokratischen politischen Systemen. Manchmal wird vermutet, dass Autokratien es leichter haben, auch gegen den Willen ihrer Bevölkerungen zu handeln, und daher einen Vorteil bei drastischen Maßnahmen zum Klimaschutz haben könnten. Aber letztlich sind auch Autokraten nicht davor gefeit, von ihrer Bevölkerung aus dem Amt gejagt zu werden.

In Demokratien ist es offensichtlich, dass sich die Politiker am Wählerwillen orientieren bzw. durch ihn eingeschränkt werden. Dies wurde durch die Forderung der Grünen nach einem Veggie-Day im Bundeswahlkampf 2013 deutlich. Die Wähler empfanden den Vorschlag, einen Tag in der Woche in öffentlichen Kantinen nur vegetarisch zu kochen, als Bevormundung und Eingriff in ihre Freiheit und straften die Grünen in der Wahl ab. Ähnlich ging es den Grünen schon einmal 1998 als Jürgen Trittin auf dem Parteitag in Magdeburg forderte, dass ein Liter Benzin 5 D-Mark kosten sollte, was durch Steuererhöhungen zu erreichen sei. Rückblickend beurteilte der Grüne Reinhard Bütikofer dies so:

Über den Fünf-Mark-Beschluss gab es in der Öffentlichkeit eine so stürmische Debatte, dass wir dem nicht gewachsen waren. Die gab es aber nicht, weil wir nur falsch kommuniziert hätten. Dieser Fünf-Mark-Beschluss selbst war ein politischer Fehler, der durchaus gegen den Widerstand etlicher Leute in der Partei zustande kam.

Es gibt Zahlen, die deutlich zeigen, wie wir wegen den fünf DM in den Umfragen eingebrochen sind. Besonders bei Jungwählern, vor allem jungen Männern. Das war wie eine Abrisskante – wir sind um zehn Punkte runter. Die dachten sich wohl: ‚Wenn ich fünf Mark pro Liter bezahlen muss, wie komme ich dann am Wochenende mit dem Auto zu meiner Freundin?‘

Nachdem wir es trotz Anstrengungen nicht mehr geschafft haben, den Beschluss differenzierter in der Öffentlichkeit zu diskutieren, haben wir ihn eingesammelt. Ich glaube, diese Korrektur war unverzichtbar. Sie hat uns den Einzug in den Bundestag gerettet.

Jürgen Trittin wurde dann trotzdem Umweltminister der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. In dieser Funktion konnte er auch viel erreichen, wie den Atomausstieg, die Förderung von Wind- und Solarenergie oder auch die Einführung der Ökosteuer. Dennoch urteilte die ZEIT 2005, dass Trittins Bilanz als Umweltminister insgesamt bescheiden sei :

Klimaschutz ist laut Trittin „die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts“. Trittins eigene Bilanz beim Kampf gegen die Erderwärmung ist allerdings wenig überzeugend. Laut Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stagniert der CO2-Ausstoß seit 1999 – trotz chronisch schwachen Wirtschaftswachstums, trotz des massiven und von Trittin geförderten Baus der Windräder. Einer der Gründe dafür: Trittin blieb einer der einsamsten Minister. Zwar schuf der Kanzler den grünen Kabinettsausschuss, das „Green Cabinet“; grüner wurde Schröders Politik dadurch nicht. Werner Müller und Wolfgang Clement beispielsweise, seine beiden Wirtschaftsminister, haben wenig Ehrgeiz entwickelt, um Bürger und Betriebe zum sparsameren Verbrauch von Energie zu animieren.

Nach der Einschätzung von Ernst Ulrich von Weizsäcker waren die ökonomischen Rahmenbedingungen für Projekte zum Schutz der Umwelt ungünstig, wie die ZEIT schreibt:

Stagnierende Reallöhne, steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Staatsverschuldung, immense Transfers nach Ostdeutschland – die „Hintergrundstimmung“ des ökonomischen Niedergangs habe ein Übriges getan und die Umweltpolitik in die Defensive gedrängt, ihr den Stempel der Wirtschaftsfeindlichkeit aufgedrückt.

Dies zeigt, dass die deutsche Bevölkerung zwar an sich Umwelt- und Klimaschutz befürwortet, jedoch kaum bereit ist, dafür Opfer zu bringen. Und genau darum geht es ja: Wenn Energie teurer wird, bedeutet das eine Einschränkung der gewohnten Lebensweise. In Deutschland gibt es mittlerweile 44 Millionen zugelassene PKW, was ein Rekordstand ist. Zugleich wurde 2014 auch ein Rekord bei der Motorleistung der neuzugelassenen Fahrzeuge erreicht. Die PS-Zahlen der Neuwagen steigen seit Jahren kontinuierlich und erreichten 2014 im Durchschnitt 140 PS. Ebenso gibt es einen Trend zu Kurzurlauben mit dem Flugzeug ins europäische Ausland. Dabei ist der Verzicht auf private Flugreisen eine der Maßnahmen, mit der Privatpersonen den größten Beitrag zur CO2-Einsparung leisten könnten. Nach den Erfahrungen der Grünen mit der Besteuerung von Benzin ist also kaum vorstellbar, dass gegenwärtig eine Mehrheit der Deutschen eine merkliche Erhöhung von Steuern auf Treibstoffe akzeptieren würde. Also traut sich auch keine Partei, diese zu fordern bzw. umzusetzen.

Und wenn selbst die angeblich so umweltbewussten Deutschen kaum auf das private Automobil und die Flugreisen verzichten wollen, wie dann die aufstrebende Mittelschicht in China? Mittlerweile haben die Chinesen die Deutschen als Reiseweltmeister abgelöst und im Jahr 2014 ist der Verkauf von Neuwagen um 19% gegenüber dem Vorjahr gewachsen.

Man muss sich daher von der Illusion verabschieden, dass der Klimawandel durch politische Maßnahmen begrenzt werden kann, wenn dies gegen den Willen der Menschen geht. Dies wird sich auch in den internationalen Klimaverhandlungen in Paris zeigen. Der Wille zu wirklich durchgreifenden politischen Vereinbarungen wird nicht vorhanden sein, weil die Menschen nicht auf klimaschädliches Verhalten verzichten wollen. Das eigentliche Problem besteht also nicht darin, geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen oder gute Verhandlungsstrategien zum Schutz des Klimas zu finden. Die Herausforderung ist, die Mehrheit der globalen Ober- und Mittelschicht dazu zu bewegen, dass sie ihr klimaschädliches Verhalten ändern wollen. Wenn dies erreicht ist, können auch politische Maßnahmen schnell ergriffen werden, wie der plötzliche Atomausstieg nach Fukushima zeigt.

 

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