Fremde? Oder einfach nur fremd?

Ok. Ich denk grad über was nach, was ich neulich erlebt hab. Bei mir an der S-Bahn hat sich eine Zeit lang immer jemand aufgestellt und das gemacht, was man wohl betteln nennt. Nebenbei gesagt ein grausiger Begriff. Ich glaube tatsächlich, das ist auch nicht das Selbstbild, dass diese Menschen von sich haben. Ich denke eher, für die ist das einfach ihr Job, zu dem sie morgens gehen, wie jeder andere auch. Ich könnte mir vorstellen, dass sie denken, wir haben ja genug Geld, weil wir arbeiten (dürfen, was viele von denen nicht dürfen) und wir merken es nicht, ob wir jetzt 2 Euro mehr oder weniger in der Tasche haben. Und schließlich zwingen sie ja niemanden was zu geben und sie motzen auch niemand an, der nix gibt.

Nu ist folgendes passiert: Im Wochenwechsel standen da eine ältere Dame und ein junger Mann. Als der junge Mann das erste Mal da stand und mich um Geld gebeten hat, hab ich – wie ich es immer mache – mit einem „Nein“ geantwortet und ein freundliches, jedoch distanziertes Lächeln gelächelt. Damit war das für mich erledigt und auch schon wieder aus meinem Focus verschwunden. Aber wohl nicht für den jungen Herrn. Der hat mich am nächsten Morgen überschwänglich begrüßt und ich hatte den Eindruck, dass er darauf gewartet hatte, dass ich da vorbeikomme (nicht, weil ich so toll bin und er sich sofort unsterblich in mich verliebt hat, sondern, weil es ätzend und langweilig ist da den ganzen Tag rumzustehen und man sicher jede Abwechslung, jede Aufregung begrüßt). 


Dieses überschwängliche „Guten Morgen“ hat natürlich dann dazu geführt, dass ich das Gefühl hatte, ich muss klarere Signale der Distanz schicken und daher hab ich nicht zurückgegrüßt und ihn wahrscheinlich grimmiger angeschaut, als beide Gebrüder zusammengenommen. Diese Episode hat mich dann aber zum Nachdenken gebracht: Über das, was ich signalisieren wollte, nämlich freundliche, jedoch distanzierte, unpersönliche Höflichkeit/Freundlichkeit und das, was eventuell beim Gegenüber angekommen ist. Und was unter Umständen was total anderes war, als das, was ich meinte. Wenn das jetzt zum Beispiel ein Mann ist, der aus einer Kultur kommt, in der Frauen keine fremden Männer anlächeln oder wahrnehmen, dann ist mein Lächeln für ihn zum Beispiel ein ganz klares Signal von Interesse? Und wenn man dann weiter nachdenkt, könnte man meinen, dass er am Ende des Ganzen auf mich sauer ist, weil er sich an der Nase herumgeführt fühlt nach dem Motto „Erst lächeln und dann grimmig dreinschauen!“ und eventuell Sachen denken könnte wie „Deutsche Frauen halten sich für was besseres und sind Schlampen.“ (Ich will hier wirklich niemand was unterstellen, es erscheint mir nur emotional plausibel, dass das in manchen Fällen passieren könnte? Natürlich auch deshalb, weil manche Männer sowas ja tatsächlich äußern). 

Wenn Du die Signale der anderen nicht richtig übersetzen kannst oder zwei Gegenüber unterschiedliche Deutungen haben, dann ist das genau so, als würdest Du eine andere Sprache sprechen. Es entstehen Missverständnisse, aus denen dann Vorurteile und Hassgefühle werden können. Und manchmal sogar Verbrechen und Gewalt. In meinem Erlebnis hat keiner was falsch gemacht und keiner ist böse oder gut. Das ist mir ganz wichtig festzuhalten, weil wir alle dazu neigen Urteile zu fällen und Leute in Kategorien zu schubsen. Wir beide waren nur ganz normale Menschen, wie man eben so ist. Was aber das Erlebnis für mich persönlich klar zeigt, ist, dass wir weitaus mehr Integration brauchen, weitaus mehr Aufklärung, mehr Begegnung untereinander als Menschen und nicht nur mit Sozialarbeitern oder ähnlichem. Und Vermischung, damit wir die gleiche Sprache auf allen Ebenen sprechen, denn das ist das einzige, was uns helfen und retten kann. Haß und Zorn hat noch niemand glücklich gemacht und noch niemandem weitergeholfen.

Meta-P.S. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich werde auch weiterhin freundlich sein, auch, wenn das vielleicht manchmal missverstanden werden könnte. Als ich drüber nachgedacht hab, was man machen könnte, um die Situation zu verbessern, hab ich gedacht, dass es eigentlich toll wäre, wenn es sowas wie Fragestunden gäbe. Wo ganz normale, ungeschulte Bürger sich mit Flüchtlingen und Asylsuchenden treffen, um Fragen (ohne Tabu) zu beantworten. Beiderseits. Zum Beispiel sowas banales wie: „Was esst Ihr? Wie war es bei Euch zuhause in … (wo auch immer jemand herkommt)? Was macht man hier den ganzen Tag?“. Sozialarbeiter etc. sind total wichtig, aber ich finde es wichtig, dass Kontakt und Begegnung auch mit den Leuten stattfindet, mit denen man in Zukunft zusammen leben wird. Aber vielleicht gibt es sowas ja eh schon.

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