Von einer, die auszog

von Bücher

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Milena Moser: Hinter diesen blauen Bergen

Wie fühlt es sich an, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und auszuwandern, um am anderen Ende der Welt neu zu beginnen?

Rückblende: Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag schenkte sich die Schweizer Schriftstellerin Milena Moser einen Road Trip durch die USA. Nach zwei gescheiterten Ehen begab sie sich auf die Suche nach dem Glück, das, wie sie während der Reise erkannte, sich nicht erzwingen lässt, das auftaucht wann und wo man es nicht erwartet. Am Ende der Fahrt stand ihr Entschluss fest, nach Santa Fe auszuwandern, um in New Mexico ein neues Kapitel ihres Lebens aufzuschlagen. Schließlich verliebte sie sich kurz vor dem Rückflug in die Schweiz in San Francisco in einen mexikanischen Indianerhäuptling, einen bildenden Künstler.

Ihre autobiografische Erzählung Hinter diesen blauen Bergen beginnt ein Jahr später: Ihre Wohnung ist aufgelöst, die Besitztümer verkauft. Es bleiben acht Kisten, die sie fast wahllos füllt, praktische Gegenstände und Erinnerungsstücke, die ihr nach Santa Fe folgen sollen. Im Juli 2015 verlässt sie ihr Heimatland Richtung Amerika. In ihrem neuen Buch erzählt Milena Moser von ihren Erfahrungen während der ersten Monate, von unvorhersehbaren Problemen, neuen Freundschaften und Glücksmomenten im rauen Klima der Hochwüste New Mexicos. Doch es ist nicht nur die Gewöhnung an eine fremde Umgebung, eine Kultur, die dem Leben in der Schweiz nicht unähnlicher sein könnte, die den Alltag der Autorin ausfüllt. Auch die junge Liebe fordert ihr einiges ab: San Francisco liegt zwei Flugstunden entfernt. So pendelt sie zwischen diesen beiden Orten, ihrer Casita in Santa Fe und dem großen, mit Kunst gefüllten Haus in Kalifornien. Sie zweifelt, fühlt sich bisweilen fremd, allein. War es die richtige Entscheidung, ins Ungewisse zu starten, noch einmal von vorn anzufangen weitab der vertrauten Umgebung? Wo gehört sie hin, nach Santa Fe, nach San Francisco oder sind ihre Wurzeln für immer in der Schweiz?
Auch ihre Liebe wird auf harte Proben gestellt. Soll sie an der Fernbeziehung festhalten, ihren Traum vom selbstbestimmten Leben in Santa Fe weiter verwirklichen oder die Zelte abbrechen, um dem Liebsten näher zu sein, dessen Gesundheit schwer angeschlagen ist? Während ihres Road Trips suchte sie das Glück. Jetzt sucht sie die Antwort auf die Frage: Wo ist zu Hause?

Hinter diesen blauen Bergen, Milena Moser, Verlag Nagel & Kimche

Nach der Lektüre

Hinter diesen blauen Bergen ist kein Ratgeber für Ausreisewillige. Milena Moser plaudert aus ihrem Leben in Amerika, springt hin und her zwischen New Mexico, Kalifornien und dem Schweizer Aargau. Obgleich sie nie schreibt, unter Heimweh zu leiden, erkennt man doch ihre Suche nach der Nähe zur verlassenen Heimat. Sie befreundet sich mit ebenfalls ausgewanderten Schweizerinnen, die zu ihren engsten Vertrauten werden. Vom American Way of Life ist sie einerseits fasziniert, sie kennt ihn aus ihrer Zeit in San Francisco, wo sie früher bereits einige Jahre lebte. Und dennoch ist es wohl unvermeidlich, den Vergleich zu suchen zwischen einem wohlgeordneten (für Moser zu sehr geordneten) Land von überschaubarer Größe und dem riesigen nordamerikanischen Kontinent. Der allerdings, das merkt sie nicht nur beim Bemühen um einen US-Führerschein, zeigt bei den bürokratischen Hürden die gleiche scheinbare Willkür, wie sie in der vertrauten Umgebung Schweizer Amtsstuben oder überall sonst auf der Welt zu finden ist.
Das ist Auswandern mit Rückfahrtgarantie, mit der Möglichkeit, jederzeit die Zelte abbrechen und zurückkehren zu können ins alte Leben, denke ich bei der Lektüre immer wieder. Andererseits: Muss der Mensch immer ankommen, endgültig und ohne Blick zurück? Nein, Zweifel sind erlaubt, sie sind Teil unseres Selbst. Eigene Entscheidungen zu relativieren ist Teil des Erwachsenseins.
Zweifel bestimmen neben vielen Phasen, in denen alles im Lot scheint, auch die Liebesbeziehung zu ihrem mexikanischen Indianerhäuptling, der Konventionen infrage stellt. Dieser höfliche, gebildete Mann avanciert trotz oder gerade aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen zum ausgleichenden Pol der Beziehung. Er gibt der Partnerin Freiraum, schränkt sie nicht ein in ihrem Willen, ihr Leben in Santa Fe aufzubauen, anstatt in sein Haus zu ziehen und in die Versorgerrolle zu schlüpfen, wie sie es viele Jahre lang als ihre Aufgabe sah, als sie die Rolle der Ehefrau und Mutter lebte.

Eine Frau im mittleren Alter macht sich noch einmal auf den Weg. Milena Moser lässt den Leser teilhaben an ihrem Leben als Aussteigerin. Das gelingt ihr in ihrer undogmatischen, niemals belehrenden Art, die kein perfektes, selbstherrliches Bild zeichnet. Das macht sie so nahbar für uns Frauen, die eine Sehnsucht verbindet: die Sehnsucht nach dem nochmaligen Aufbruch, auch wenn der nicht ans andere Ende der Welt führen, ja noch nicht einmal eine räumliche Veränderung bedeuten muss. Santa Fe ist gewissermaßen ein Synonym: Was ist mein Santa Fe?

Last modified: 8. Februar 2017

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