Sonntag, 12. Juni 2016

Herr Satan persönlich!



Eckdaten:
Mr. Arkadin, welcher hierzulande den etwas ungünstig gewählten Titel Herr Satan persönlich! bekam und in Großbritannien als Confidential Report gezeigt wurde, ist eine französisch-spanisch-schweizerische Koproduktion, die unter der Regie von Orson Welles, welcher auch die Titelfigur spielte und das Drehbuch schrieb, entstand. Der Film feierte im Jahr 1955 seine Erstaufführung, in Spanien. Eine weitere Hauptrolle des Film Noir besetzte der Regisseur mit Robert Arden, darüber hinaus sind auch Patricia MedinaAkim Tamiroff sowie Welles' dritte und letzte Ehefrau, Paola Mori, zu sehen. Die Filmmusik des Schwarzweißfilms komponierte der Franzose Paul Misraki.

Handlung:

Am Hafen von Neapel trifft der Schmuggler und Weltenbummler Guy van Stratten auf einen sterbenden Fremden namens Bracco. Unter Qualen, verursacht von einem Dolch, der ihm unmittelbar vor diesem Treffen in den Leib gerammt wurde, erzählt Bracco, er könne van Stratten und seine Begleiterin Mily reich machen. Die beiden sollen den Multimillionär Gregory Arkadin erpressen: Mit der Information, dass Bracco ihnen alles erzählt habe. Unabhängig voneinander versuchen  die beiden an Arkadin heranzukommen. Mily mischt sich bei Feiern des Millionärs unter die Gäste, van Stratten macht sich an dessen Tochter Raina heran, welche schon bald dem Charme des Globetrotters erliegt.

Als sich die beiden Männer zum ersten mal begegnen wird klar, Arkadin hat seine Hausaufgaben gemacht. Er ließ sämtliche Informationen über den Freund seiner Tochter zusammentragen (das Resultat: der "Confidential Report", daher der britische Titel). Im Wissen, dass van Stratten nichts hat, womit er ihn erpressen kann, beauftragt Arkadin seinen Möchtegern-Schwiegersohn mit der Erforschung der Vergangenheit seiner eignen Person. Der Grund hierfür: Arkadin kann sich - laut eigener Aussage - an keinerlei Geschehnisse vor dem Jahr 1927 erinnern. Er weiß nicht einmal, wie er zu seinem Reichtum kam. Van Stratten nimmt den Auftrag an, doch er weiß nicht, dass Arkadin Informationen verschwiegen hat und mit der Erteilung des Auftrages ganz andere Ziele verfolgte, als er vorgab...


Kritik:

Herr Satan persönlich! wird oftmals als eine Art Variation von Welles' erstem Spielfilm Citizen Kane angesehen. Tatsächlich lassen sich einige inhaltliche und strukturelle Ähnlichkeiten auch nicht leugnen: Beide Filme handeln vom Aufstieg und Fall eines Idols (Charles Foster Kane und Gregory Arkadin, beide gespielt von Orson Welles selbst), in beiden Filmen wird eine Figur beauftragt, das Leben der Titelfiguren zu rekonstruieren und beide Filme werden auf eine ähnlich unkonventionelle Art erzählt. So beginnt Herr Satan persönlich! - genau wie auch Citizen Kane - mit dem Ende. Doch den Film auf die "Pulp-Variante" von Citizen Kane, auf eine zweitrangige Trivialgeschichte, die sich an Welles' Erstling orientiert, zu reduzieren, ist nicht fair. Sicherlich spielte Welles mit den Parallelen zu seinem Debüt, vielleicht fehlt es dem Film auch an tieferer Bedeutung, doch tatsächlich schrieb er ein intelligentes, eigenständiges Drehbuch für dessen meisterhafte Inszenierung zahlreiche Stilmittel zum Einsatz kamen. 

Eines dieser Stilmittel ist eine Klammer, die den Film umschließt. Dazu sei gesagt: Herr Satan persönlich! existiert in einem halben Dutzend Schnittfassungen. Sie alle unterscheiden sich im Aufbau und ändern teilweise sogar die Chronologie, weshalb diese Klammer nicht in jeder Version besteht. Welles brauchte für den Schnitt seinerzeit zu lange, weshalb er davon abgezogen wurde. Seinen eigenen Film nicht fertigstellen zu können, bezeichnete er als das größte Desaster seines Lebens. Welles kehrte Hollywood wegen der zahlreichen Richtlinien und Auflagen, wegen der respektlosen Studiobosse, die nur darauf bedacht waren, den größtmöglichen Gewinn zu erzielen, den Rücken zu. Umso trauriger, dass ihm in diesem Fall selbst in Europa ins Handwerk gepfuscht wurde. Inzwischen gibt es mit der "Corinth"-Version des Filmes eine, die versucht möglichst nahe an Welles' Konzeption heranzureichen. Eine weitere Schnittfassung, welche für die Criterion-DVD-Kollektion, in der alle gängigen Versionen sowie interessantes Begleitmaterial enthalten sind, angefertigt wurde, versucht diese mit der gängigen europäischen Fassung zu vereinen und kommt damit auf eine Länge von 106 Minuten. Die längste aller Versionen. 


Des Weiteren existiert auch ein Buch zum Film, welches in der Criterion-DVD-Kollektion enthalten ist und einzeln auch in deutscher Sprache erschien. Kurioserweise ist Orson Welles als Autor angegeben - obwohl er das Buch nicht geschrieben zu haben scheint. Zumindest behauptete er dies stets. Wer tatsächlich hinter der etwas amateurhaft geschriebenen Lektüre, die aber einige interessante Aspekte der Geschichte beleuchtet, steckt, ist bislang noch immer nicht bekannt. 


Herr Satan persönlich! entstand leider unter nicht gerade angenehmen Bedingungen. Dass weder ein großes Budget noch besonders viel Zeit zur Verfügung standen, merkt man dem Film hier und da auch an: So gibt es zu Beginn eine Einstellung, die Gregory Arkadins fliegendes Sportflugzeug zeigt. Sie wurde von einem anderen Flugzeug aus gefilmt, dass wohl in leichte Turbulenzen geriet, denn für einen kurzen Augenblick sieht man ein Flügel des Kameraflugzeuges. Das ist nicht weiter schlimm, tut dem Ganzen auch keinen Abbruch, zeigt aber, dass es sich bei dem Film eben nicht um eine millionenschwere Hollywood-Produktion handelt. Trotzdem spielen in dem Film so mach bekannte Gesichter mit, darunter Akim Tamiroff, quasi Teil von Welles' Stamm-Crew, Michael Redgrave und Peter van Eyck. Für einen besonderen Schmunzler sorgen Eduard Linkers und Gert Fröbe, welchen man wohl vor allem als Auric Goldfinger im vierten James Bond-Film kennt, als die dusseligen Münchener Polizisten. Orson Welles brilliert auch als Schauspieler erneut und der Debütant Robert Arden überzeugt, entgegen der damaligen Meinung des Spiegel, ebenfalls. Schade dass er nie wieder eine Hauptrolle bekam, Potential war vorhanden. 


Einer der Gründe, aus dem es sich bei Orson Welles um meinen persönlichen Lieblings-Regisseur handelt, ist seine kongeniale Bildgestaltung, die sowohl künstlerisch als auch symbolisch bis heute selten übertroffen wurde. Ob Figuren mächtig sind oder schüchtern, erkennt man bei seinen Filmen allein durch die Kameraperspektive und wer von den beiden Charakteren im Bild nun am längeren Hebel sitzt, durch die klug gewählte Einstellung. Orson Welles war mit seinen 1,87 buchstäblich ein großer Mann, doch dass ein gewisser Gregory Arkadin immer zwei Köpfe größer aussieht, als die anderen Figuren, liegt nicht am Schauspieler Orson Welles, sondern an ihm als Regisseur. Dieselben Tricks, wie sie Peter Jackson bei seiner Der Herr der Ringe-Trilogie anwendete, um normalgroße Hobbit-Darsteller neben den Anderen wie Kleinwüchsige aussehen zu lassen, kamen hier bereits in vereinfachter Form zum Einsatz: Einzig und allein um die macht der Titelfigur zu suggerieren. 


Fazit:

Die "Pulp-Variante" von Citizen Kane ist so viel mehr, als ihr gern nachgesagt wird. Technisch ist der Film der schwierigen Produktionsbedingungen wegen sicherlich nicht perfekt, teils merkt man ihm auch an, dass hier und da improvisiert werden musste. Dennoch formte Orson Welles aus seinem cleveren Drehbuch einen virtuos inszenierten Film von höchster künstlerischer Qualität. Auch schauspielerisch hat der Streifen nicht wenig zu bieten. Pflichtprogramm für jeden, der künstlerisch anspruchsvolles Kino erleben möchte.


90%

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