Essay: Ein Hoch auf die Gemütlichkeit (german)

Oktober 13, 2017 Ninonanenun 0 Comments


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Ein Essay 


>Der Wecker klingelt. Zweimal den Snooze-Button betätigt, einen Blick auf das Smartphone und dann mit Erschrecken auf die Uhr. Ins Bad gehetzt und beim gleichzeitigen Zähneputzen und Hosenanziehen erneut festgestellt, dass Multitasking nicht mein Ding ist. Schnell noch Katzenwäsche und rein in die Schuhe. Mascara kommt in die Jackentasche- schminken geht auch unterwegs und für ein schnelles Frühstück reicht die Zeit eh nicht. 

In der Bahn sitzend denke ich darüber nach, dass ich in einer Welt voller Frühaufstehern und deren perfektionierten Morgenroutinen heute wieder einmal als Verlierer hervorgehe -und dabei hat mein Tag noch gar nicht richtig begonnen. Aber, sorry, um 5:30 Uhr in einer Meditation den Blick nach innen kehren, dann in komplizierten Verbiegungen auf der Yoga-Matte "Kraft" tanken, um meinen Körper anschließend mit einer selbstgemachten over-night-chia-soya-assay-bowl zu verwöhnen, das kriege ich einfach nicht hin. Und während meine Mitreisenden durch die neusten Schlagzeilen der Online-Zeitung zappen, ihr neues Bild auf Instagram posten und Bücher mit Titeln wie: "How to persuade people and gain new friends" studieren, wache ich aus dem Fenster schauend langsam auf. Welcome to my life.

Auf der Arbeit hört es nicht auf. Kollegen/innen überbieten sich beim morgendlichen Kaffee und selbstgebackenen, veganen Schokomuffins der Praktikantin mit Wochenend- und Familiengeschichten, bewundern ihre frisch lackierten Nägel oder das perfekt gebügelte Kleid. Ich, währenddessen, sitze im Büro und frage mich, wie ich meinen Schreibtisch bis zum nächsten Meeting sortiert bekomme, außerdem habe ich mein Portemonnaie heute zuhause vergessen. 

Kennst du das auch? Das Gefühl einfach nicht dazuzugehören?


Immer wieder komme ich mir vor wie ein altes Moped, das andere Fahrzeuge bei ihrem schwindelerregenden Wettrennen in Hochgeschwindigkeit beobachtet und beim Überbieten der KM/H Tachos einfach nicht mithalten kann.


Ich meine, was ist heutzutage eigentlich noch wichtig? Auf der Wiese liegen und Wolken zählen bestimmt nicht, das ist heute Netflixandchill als Hashtag in den hiesigen Social Media Feeds. Am Wochenende hält man sich statt mit Freunden lieber in einem Netzwerk aus Entrepreneuren, CEOs und Coaches auf einer Rooftopbar auf, und statt Nichtstun steht ein Seminar in Rhetorik oder ein Yogaretreat in Mallorca auf dem Programm. Und während ich zum See radle und dort einen Roman lese, jettet die halbe Welt zu den Traumstränden des Mittelmeers, denn bei lässigen Elektrobeats und einem eisgekühlen, earl grey infusionierten G&T in der Strandbar lässt es sich besser abschalten.


Ich habe das Gefühl vor lauter "Freiheit" der persönlichen Entwicklung, "Mannigfaltigkeit" an Möglichkeiten und "Selbstbestimmung" im Zeitalter der Digitalisierung ist der heutigen Generation Y der Blick für das Detail, die Dankbarkeit für tägliche Wunder oder ganz einfach die Genugtuung im Alltag verloren gegangen. Statt auf das Hier und Jetzt richten wir unser Bewusstsein stets auf die innere To-Do-Liste, die nächste Deadline, unsere berufliche Vision. 


Effizienz, Reichweite und Performance sind die KPIs unseres Alltags, "schneller höher weiter" das Mantra unseres Werdegangs. Wir genießen das Leben erst, wenn wir es uns nach einigen durchgearbeitet Nächten so richtig verdient haben, auch wenn dann meistens eigentlich keine Zeit ist, denn die nächste Challenge steht an. Dass man vor lauter Zielen aber nie irgendwo ankommt und dass auch Auszeichnungen und Beförderungen nicht glücklich machen, merkt die High-Performance Liga erst bei der mehrmonatigen Auszeit mit Burnout und Depression.


Für wen dieser Stress, warum das Gehetze? Leben wir unser Leben denn nicht zuletzt nur für uns selbst? Und weisen uns diese unerreichbaren Messlatten wirklich den Weg zum persönlichen Glück? Möchten wir unsere Zeitspanne von 60-80 Jahren auf diesem Planeten dazu nutzen, uns und anderen etwas zu beweisen oder um herauszufinden, was uns täglich erfüllt? Lass uns ehrlich sein: Die Antwort ist so simpel. Ein Blick auf die Gesichter der Menschen in der Bahn, oder in meinem Büro reicht, um zu verstehen, dass wir erst glücklich sind, wenn wir anfangen uns eigene Ideale zu setzen; Wenn wir lernen zu teilen; Wenn wir unsere Ängste erkennen und uns beibringen geduldig mit uns und unserem Umfeld zu sein. Denn wenn wir miteinander- statt nebeneinander her leben, dann wird Eifersucht zu Mitgefühl, Konkurrenz zu Zugehörigkeit, aus Ausbeutung wird Versöhnung. Und wenn wir anfangen in Freude und Fülle zu leben, ja, dann wird aus Krieg Frieden. 


Und wisst ihr was? Ich bin gerne ein Moped, das knatternd über die Autobahn schleicht. Denn wo andere ihren Blick unter zusammengezogenen Augenbrauen auf das Fahrzeug vor Ihnen richten und jede Sekunde ihres Leben auf der Überholspur riskieren, da sehe ich die vielen Bäume, die Traktoren auf dem Feld, die Wolken in der Luft. Und wenn ein gutes Lied läuft, dann singe ich mit, verliere mich im regelmäßigen Tuckern meines under-performenden Motors und atme frische Luft und Gedanken ein. Mein Mantra ist "In der Ruhe liegt die Kraft", mein Lebensmotto "Probier's mal mit Gemütlichkeit". Und wenn ich eines gelernt habe, dann ist nichts wahrer und beständiger als die Erkenntnis und die Pointe meines Lebens und dieses Essays: "Der Weg ist das Ziel".<


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