Interview mit Wolfgang Bosbach: „Ich wage aber die Prognose: die AfD hat ihren Zenit überschritten.“

von | Nov 23, 2016

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Wolfgang Bosbach stellte vor Kurzem in der Mayerschen sein neues Buch „Endspurt“ vor. Hier wurden nicht nur politische Anekdoten zum Besten gegeben, sondern auch viel mit den anwesenden Gästen gesprochen und sich ausgetauscht.

Anschließend redete er mit uns im Interview unter anderem über sein Buch, seine politische Laufbahn, die AfD und Authentizität.

Viel Spaß mit dem Interview,DennisDennis: „Vielen Dank erst einmal für das Interview. Das war doch ein schöner und amüsanter Abend!“Bosbach: „Ich hoffe, dass es für das Publikum ein gelungener Abend war. Es war eine Mischung aus heiter und ernst, wir haben viele wichtige, politische Themen angesprochen, aber auch einen kurzen und heiteren Blick hinter die Kulissen der Politik geworfen.

Dennis: „Das ist vielleicht das, was den Leuten in Erinnerung bleiben wird. Man schwimmt gemeinsam in schönen Anekdoten, verliert dabei aber nicht den Blick auf das Wesentliche.“

Bosbach: „Ja, schön beschrieben! Aber die Politik wird nicht besser, wenn wir Politiker schlecht gelaunt sind. Man kann auch über sehr ernste, über sehr schwierige Themen in einer Weise sprechen, dass das Publikum gerne zuhört.

Dennis: „Ist solch ein Abend für Sie ein sehr wichtiger Faktor in Hinblick auf Authentizität? Sie sitzen hier zwischen den Leuten und erzählen sehr authentisch, was Sie von gewissen Dingen halten. Glauben Sie, dass so etwas dabei hilft, den Leuten Mut zu machen?“

Bosbach: „Heute Abend hatten wir ja ein ganz buntes Publikum. Es ist ja ein großer Unterschied, ob ich bei einer klassischen Partei-Veranstaltung auftrete, bei der ich weiß, die Mehrheit des Publikums sind Partei-Mitglieder. Oder, ob man hier in eine große Buchhandlung nach Düsseldorf kommt und gar nicht weiß, wer von den Gästen politisch gebunden ist bzw. wo die Gäste politisch stehen.

Dennis: „Am heutigen Abend haben Sie erzählt, dass Sie Ihr Buch ‚Endspurt‘ über Tonaufnahmen angefertigt haben…“

Bosbach: „Es ist ein Interviewbuch und die Basis des Buches sind meine Tonaufzeichnungen.

Dennis: „Bedeutet das, dass es mit der Zeit entstand oder gab es festgesetzte Termine?“

Bosbach: „Wir haben uns rund ein dutzend Mal getroffen und nach zwei bis zweieinhalb Stunden sagten wir, dass wir eine Pause machen wollen und uns neu verabreden. Dann haben wir uns zunächst einmal in Ruhe angesehen, was von den Tonaufzeichnungen verschriftet wurde, aber haben nur minimale Korrekturen oder Ergänzungen vorgenommen. Allerdings haben wir natürlich den Inhalt ständig aktualisieren müssen, denn das Buch ist in einem Zeitraum von vier bis fünf Monaten entstanden. Da hatten wir gerade in der Flüchtlingspolitik eine ganz rasante Entwicklung.

Dennis: „Das Buch hat den Untertitel ‚Wie Politik tatsächlich ist‘. Wie ist Politik denn tatsächlich?“

Bosbach: „Wir betreiben einen unglaublich großen Aufwand für relativ bescheidene Ergebnisse. Es dauert oft zu lange, bis längst überfällige und wichtige Entscheidungen getroffen werden. Von Max Weber stammt der Satz: „Politik ist das Bohren durch dicke Bretter.“ Im Grunde muss man sich durch ganze Wälder arbeiten und wir haben speziell in der BRD ein sehr anspruchsvolles, kompliziertes Prozedere bei der Entscheidungsfindung, weil wir ja immer eine Beteiligung des Bundesrates haben. Zustimmungspflichtige Gesetzte können nur in Kraft treten, wenn der Bundesrat dem zustimmt, obwohl der Deutsche Bundestag dies einstimmig beschlossen hat. Und das alles macht den politischen Entscheidungsfindungsprozess in Deutschland sehr langwierig und sehr kompliziert.“

Dennis: „Es erfordert eine Menge Mut, innerhalb der eigenen Partei eine Meinung kundzutun, die großflächig nicht vertreten wird. Denken Sie, dass es diese Art von Mut ist, die man zurzeit möglicherweise braucht?“Bosbach: „Ich selber empfinde mich nicht als besonders mutig, weil ich kein hohes politisches Risiko eingehe. Ich weiß, dass die Partei-Basis zu 100 Prozent zu mir steht.

Ich muss mir über meinen Kreisverband keine Sorgen machen. Es war ein großes Glück, dass ich in sechs Bundestagswahlen kämpfen konnte und eine uneingeschränkte Unterstützung in der Basis hatte, auch wenn sich bei mir zu Hause manchmal jemand eine andere, politische Entscheidung oder Haltung gewünscht hätte. Entscheidend war, dass die Partei, aber auch die Wähler wussten, dass Sie sich auf mich verlassen konnten. Sie wussten, dass ich zu meinem Wort stehe und ich habe mich darum bemüht, 22 Jahre lang die Bürgerinnen und Bürger nicht zu enttäuschen. Und die guten Wahlergebnisse zeigen mir auch, dass mir das gelungen ist.

Dennis: „Hier kommt wieder das Wort „Authentizität“ ins Spiel. Das spielt eine ganz große Rolle dabei…“

Bosbach: „Selbst, wenn die Bürgerinnen und Bürger bei den vielen politischen Fragen nicht jedes Detail kennen: ich glaube, dass die Menschen ein untrügliches Gespür dafür haben, ob jemand authentisch ist oder nicht. Ob das, was gerade gesagt wird, tatsächlich die Meinung des Redners ist oder eben nicht. Das merkt das Publikum.“

Dennis: „Das denke ich auch. Jetzt heißt Ihr Buch ja ‚Endspurt‘. Die Wahl des Titels erscheint mir etwas negativ behaftet zu sein. Empfinden Sie dies ebenso?“Bosbach: „Ich sehe es genau andersherum. Ein Endspurt trägt die letzte Kraftanstrengung. Das Buch heißt nicht „Hängematte“, sondern „Endspurt“… und jeder Sportler weiß: er holt noch einmal das Letzte aus sich heraus, er gibt noch einmal sein Bestes.

Er möchte jetzt nicht vom Galopp in den Trap verfallen. Für mich ist der Titel richtig und wichtig, um zu signalisieren: „Ja, es stimmt, ich bin nur noch ein Jahr Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich kandidiere nicht erneut, aber ich arbeite in den letzten zwölf Monaten genauso hart, wie in den Jahren davor!“.“

Wolfgang Bosbach, Mallorca Palace Hotel, Sa Coma

Wolfgang Bosbach, Mallorca Palace Hotel, Sa Coma/ Copyright:WOBO.de

Dennis: „Das Buch heißt ja auch „Begegnungen. Ereignisse. Erfahrungen“. Sie haben schon eine ganze Menge erlebt. Gab es wichtige Ereignisse in den letzten 22 Jahren, die Ihren Blick auf die Politik oder Ihr politisches Denken geändert bzw. gefördert haben?“Bosbach: „Es gab zwei Ereignisse. Die ersten Ereignisse hängen mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zusammen. Wir waren damals in der Opposition und es war für mich eine ganz wichtige politische Erfahrung zu sehen, dass man auch aus der Opposition heraus, aus der Minderheit heraus, Politik beeinflussen und gestalten kann.

Und dass es uns damals in Deutschland gelungen ist, bei den vielen neuen Gesetzen, bei den organisatorischen Änderungen für mehr Sicherheit, Maß und Mittel zu halten. Wir sind nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat. Wir sind nicht auf dem in den Polizeistaat. Aber wir haben Deutschland sicherer gemacht – eine gute Erfahrung.

Die Erfahrungen in der sogenannten Euro-Rettungspolitik, bei den sogenannten Milliardenpaketen für Griechenland waren eher negative Erfahrungen. Ich war überrascht, mit welchem Tempo das korrigiert wurde, was wir den Wählerinnen und Wählern bei Einführung des Euro ganz ausdrücklich versprochen hatten.

Denn die Turbulenzen wurden vorhergesagt. Viele, auch aus der Wissenschaft, hatten warnend den Zeigefinger gehoben und darauf hingewiesen, dass wegen der Heterogenität der Eurozone die Gefahr bestünde, dass aus der Währungsunion eine Haftungsunion werde… und später auch eine Transferunion.

Dennis: „Ich habe auch das Gefühl, dass Kritik am Euro stets vorhanden ist. Nicht unbedingt von einem selbst, sondern oft auch medial gesehen.“Bosbach: „Ich bin kein Eurokritiker. Ich weiß auch, dass der Euro mehr als eine Währungseinheit ist. Er ist auch ein politisches Projekt. Er soll die politische Einigung unumkehrbar machen, aber er hat auch zu mehr Streit geführt. Nicht nur dazu, dass Europa besser zusammenwächst.

Dennis: „Stichwort Wahl. Nächstes Jahr im Herbst sind wir an der Reihe und rechtspopulistische Parteien wie die AfD gewinnen an Popularität. Wir sind Ihre Prognosen und haben Sie Befürchtungen?“

Bosbach: „Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass dem nächsten deutschen Bundestag sieben Parteien angehören und dass sich sechs Fraktionen bilden können. Dann wird eine Regierungsbildung schwer. Die FDP hat gute Chancen zurückzukehren und die AfD hat gute Chancen zum ersten Mal in den Bundestag einzuziehen.

Ich wage aber die Prognose: die AfD hat ihren Zenit überschritten. Sie wird nicht weiter zunehmen, sie wird tendenziell eher abnehmen, aber sie wird eine relevante politische Kraft bleiben und damit eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Union und andere Parteien.

Dennis: „Vielen Dank für Ihre Zeit!“