Tendenzen

Menschen sind solche Schwarz-Weiß Denker. Alles oder Nichts. Ganz oder gar nicht. Klappt oder klappt nicht.

"Das hab ich probiert, hat nicht funktioniert!" Eine typische Hundehalter-Aussage. "Da kann ich mit der Leberwurst wedeln soviel ich will, wenn er einen anderen Hund sieht, interessiert ihn das nicht!" - "Egal, wieviel ich Leinenführigkeit übe, er zieht trotzdem!" - "Ich belohne ihn ja eigentlich oft, aber es ändert nichts!"

Es hilft, den Blick für die kleinen Dinge zu schärfen. Für winzige Fortschritte, für Tendenzen. Nuancen. Graustufen. Und dann gezielt nach dem Faktor zu suchen, der diesen Fortschritt, egal wie klein, verursacht hat. Und den Faktor dann steigern ins 150fache.

Also nicht: "Ich hab dreimal toll belohnt,  und er ist mir wieder abgezischt, also bringt die tolle Belohnung nichts!"
Sondern: "Seit ich hochwertiger belohne, hat er schon dreimal super auf den Rückruf reagiert, vorher hat er fast nie direkt reagiert" Und dann statt dreimal zu belohnen, 500 mal belohnen, und nicht nur mit ein bisschen Leberwurst, sondern mit der halben Tube. Sehen, ob man das kleine zarte Pflänzchen Fortschritt päppeln und aus der Tendenz einen Trend machen kann - und irgendwann die Normalität.


Das gilt für viele Ansätze, eigentlich für fast alle. Gelernt wird aus Erfahrung und über Verstärkung, und Verstärker addieren sich. (Wäre schön, wenn man dann nur einmal ein ganzes Fass Leberwurst auffahren könnte, und das Problem wäre für immer "gegessen" - aber so einfach ist es dann auch wieder nicht...Verstärkung muss immer und immer wieder passieren.)

Das dauert halt. Aber wer einen Samen in der Erde vergräbt, erwartet ja auch nicht, morgen früh schon die Bananen ernten zu können. Man muss das zarte Pflänzchen erst hegen und Geduld haben.

Der Hund geht nach drei Richtungswechseln immer noch nicht brav an der Leine? Aber ist er minimal aufmerksamer? Geht 30 Schritte, ohne zu ziehen, statt wie vorher nur 10? Gut, das ist eine Tendenz, also weiter so! Und am besten noch eine Schippe drauflegen, kein "eigentlich" belohne ich, kein "eigentlich" bin ich konsequent, mal so, mal so - sondern den gewählten Weg beibehalten, weiter ausbauen, intensivieren.

Auch kleine Veränderungen zum Positiven zu erkennen, ist wichtig, um die eigene Motivation aufrecht zu erhalten. Es hilft, ein Trainingstagebuch zu führen oder einfach mal darüber nachzudenken, wie der Hund vor genau einem Jahr war - war die betreffende "Baustelle" besser oder schlechter? Was hat sich geändert, inwiefern und warum?

Ich war heute einige Kilometer mit dem Rad und dem freilaufenden Hund über die Felder unterwegs. Noch vor einem Jahr wäre er mir dabei bestimmt mehrmals losgeschossen, um die Scharen von Krähen aufzuscheuchen, die dort sitzen (noch vor einem Jahr bin ich natürlich nicht eine Stunde lang mit dem Rad da rumgefahren, sondern war 20 Minuten zu Fuß mit der Schleppleine zum Üben dort).
Heute ist er die ganze Zeit auf dem Weg geblieben und hat sich nicht um die Krähen gekümmert - bis auf ein einziges Mal (und da konnte ich ihn zurückrufen, jippieh. Leberwurst!). Hat mein Hund also immer noch Krähen hochgescheucht? Ja. War alles Üben, auf dem Weg zu bleiben, umsonst? Mein ganzes Training für die Katz? Nein! Im Gegenteil, die Tendenz ist extrem gut. Ich bin guter Dinge und mache weiter wie bisher.

Gleiches gilt für eine Menge anderer Dinge. Zieht mein Hund noch manchmal? Ja. Tut er es seltener als vor einem Jahr? Ja. Also - Tendenz positiv! Weiterüben! Befolgt er Kommandos öfter oder seltener? Was passiert wie in welchen Situationen? Was habe ich an mir und meinem Verhalten, meinen Methoden, meiner Interaktion verändert, mit welchen Folgen? Solche Fragen sollte man sich oft stellen, immer mit einem aufmerksamen Blick auf Veränderungen.

Wird etwas aber in der Tendenz, und sei sie noch so klein, dauerhaft nicht besser oder sogar schlechter, dann hatte man bisher den falschen Ansatz - oder auch das falsche Ziel.

Man muss den richtigen Weg für den individuellen Hund finden. Was für den einen eine tolle Belohung ist, ist für den anderen gar nix wert. Der eine Hund wird vielleicht durch sehr häufige Ansprache und viel Input aufmerksamer  (Blacky ist so) - ein anderer wird genervt davon und mag beim dritten völlig überflüssigen Rückruf (in seinen Augen) nicht mehr kommen, Belohnung hin oder her.
Wenn ein Hund nicht weiß, wofür er eigentlich belohnt wird, kann man tatsächlich soviel Leberwurst auffahren, wie man will, sein Verhalten wird sich nicht in die gewünschte Richtung ändern.
Manchmal ist vielleicht eine laute Ansage der richtige Weg, um Gehorsam zu fordern - wenn Angst im Spiel ist, nützt Strenge nichts, sondern macht den Hund nur unsicherer, und er wird auf Distanz gehen.
Der eine unkonzentriert und nervös, der andere unmotivert und findet andere Dinge spannender, der nächste hat das Kommando noch nicht verstanden - Kann nicht, Will nicht und Versteht nicht lassen grüßen.
Wenn eine gewählte Methode überhaupt keine Tendenz zur Verbesserung bringt, dann hat es keinen Sinn, stur daran festzuhalten. Es passt nicht alles auf jeden Hund, und auch nicht auf jeden Menschen. Verhaltensweisen können unterschiedliche Ursachen haben. Nicht immer gibt es einen direkten Weg zum Ziel, und nicht jedes Verhalten lässt  sich an- oder wegtrainieren. Es bringt nichts außer einer  Menge Frust, wenn man auf Teufel komm raus an einer Methode festhält, die einfach nicht die richtige ist.

Oder, um bei der Banane zu bleiben: Man kann giessen, soviel man will, wenn man statt Bananen Äpfel gepflanzt hat, wird man NIE Bananen bekommen. 

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