Stürmische Liebe: El Médano

In den ewigen Passatwinden im Süden Teneriffas haben wir den perfekten Halt unserer Frisuren verloren – und unsere Herzen. Der kleine Fischerort El Médano am Fuße des Montaña Roja setzt auf Authentizität statt Event-Tourismus. Das zieht Surfer, Kiter, alte und junge Hippies an.

image

Alte Spanier sitzen aufgereiht auf der Bank und blicken auf die Bucht, über den Markt toben Kinder und die Hunde der Hippies, vom Strand wehen Gitarrenklänge herüber und die Abendsonne taucht den Montaña Roja in den Farbton, der ihm seinen Namen gab. Wir sitzen im Restaurant Santa Maria bei fangfrischer Dorade und sind wunschlos glücklich. Der Süden Teneriffas ist mit vorbildlicher Barrierefreiheit und optimalem Klima eines der favorisierten Überwinterziele von Rollifahrern. Abseits der breiten touristischen Pfade von Los Cristianos und Playa las Americas haben wir nach einer etwas unberührteren Ecke gesucht. Und in El Médano gefunden.  „Düne“ heißt das Örtchen auf Deutsch und war wohl die Namensgebung wert, denn die vom Wind geformten Sandanwehungen sind auf der Insel sonst nicht zu finden.
Am südlichen Ende des Strandes ragt der Montaña Roja, der rote Berg, 200 Meter in die Höhe. Der unter Naturschutz stehende Vulkankegel war schon vor vielen Jahrhunderten als Orientierungshilfe in Seefahrerkarten verzeichnet. An seinem Fuße warf Ferdinand Magellan zum letzten Mal Anker, bevor er Anfang des 16. Jahrhunderts zu seiner Weltumsegelung aufbrach.

image

An den steinernen Dünen am Strand knabbert der Atlantik – auch an „Peña Maria“. Sie ist benannt nach der Liebenden, die vergebens auf die Rückkehr ihres Juan aus Amerika wartete, der Schiffbruch erlitten oder von Piraten getötet worden sein soll. Aus Trauer verwandelte die arme Maria sich der Legende nach in einen Felsen in der Bucht von El Médano, von wo aus sie vergeblich nach Juans Schiff Ausschau hielt.
Entlang der Bucht führt eine teils asphaltierte, teils mit Holzbohlen ausgelegte Uferpromenade. Die Bohlen sind in Sachen Befahrbarkeit noch verbesserungsfähig – genau wie zahlreiche nicht abgesenkte Bordsteine im Ort. Entlang der Promenade reihen sich kleine Cafés und Bars aneinander, in denen man bei Tapas, Smoothies, Kaffee, frischem Fisch und kanarischen Spezialitäten zugucken kann, wie Surfer und Kiter durch die Bucht sausen. Wenn der Passat in den Sommermonaten besonders heftig peitscht, ist es Zeit für den Surf World Cup. 

image

Wir werden hier zu Windverstehern und können bald alle möglichen Arten und Nuancen von Sausen und Pfeifen des Nordpassats, der hier fast ununterbrochen weht, unterscheiden. Für uns Nordlichter fühlt sich das heimisch an, auch wenn der heftige Gegenwind, um den man nicht herum kommt, im Rollstuhl zu einer echten Herausforderung wird. Also nehmen wir uns hin und wieder eine Sturmpause und fahren im Mietwagen zu den rund 20 Kilometer entfernten touristischen Hot Spots Los Cristianos und Playa las Americas mit den schicken Boutiquen, bebilderten Speisekarten in zehn Sprachen, blinkenden Leuchtreklamen und Las-Vegas-mäßigen Nachbauten antiker Tempel. Der Bus, Gua-Gua genannt, startet zwar regelmäßig vom Hafen aus, ist aber leider nicht barrierefrei. Dafür ist es kein Problem, eines der rollstuhlgerechten Taxis zu bestellen, die hier zuhauf herumfahren. Paradox: Trotz der extrem hohen Dichte von mobilitätseingeschränkten Urlaubern gibt’s kaum Leihwagen mit Handgasgerät. Letzteres haben wir deshalb von zuhause mitgebracht – und gleich nach der Ankunft am Flughafen die spanische Lässigkeit kennengelernt: Trotz vergessenen Führerscheins gab‘s den Seat, das unvollständige Handgasgerät wurde mit einem abgesägten Besenstil startklar gemacht.

image

Ob mit eigenem Leihwagen oder Taxi - einen Ausflug nach Los Cristianos sollte man für eine Begegnung der besonderen Art auf jeden Fall einplanen. Hier legen nicht nur die Fähren zu den kleinen Nachbarinseln La Palma, Gomera und El Hierro ab, hier starten auch die Boottrips zum Whale-Watching. 21 der 79 weltweit existierenden Walarten kann man je nach Jahreszeit mit etwas Glück in den Gewässern Teneriffas beobachten. Ständige Küstenbewohner sind Kurzflossen-Grindwale und große Tümmler, denen man nach Möglichkeit nicht auf die Nerven gehen sollte. Deshalb haben die Exkursionsanbieter sich Qualitätsstandards verpflichtet, die den Tieren eine möglichst stressfreie Begegnung sichern.
Ein weiteres Muss für Natur-Freaks ist ein Besuch des Teide – Nationalparks mit dem 3.718 Meter hohen Teide. Der Vulkan bildet den höchsten Gipfel Spaniens und den dritthöchsten der Erde. Schon die Anfahrt durch die karge Mondlandschaft – hier wurden unter anderem Szenen für „Star Wars“ und „Planet der Affen gedreht“ – ist ein Erlebnis. Auf den Teide geht es mit einer Bergbahn, außerdem führen barrierefreie Naturpfade durch den Nationalpark.
Auch ein Blick aus der Vogelperspektive auf die Kanareninsel ist möglich: Von verschiedenen Startpunkten können Rollifahrer beim Paragliding abheben. Mehr über die Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten rund um El Médano demnächst auf diesem Kanal.

Unterkunft
Gewohnt haben wir im Hotel Arenas del Mar – von außen ein liebloser grauer Klotz, dessen Bau den Bewohnern der bunten Häusschen am Strand die Tränen in die Augen getrieben haben dürfte.  Für Reisende im Rollstuhl ist er innen top ausgestattet, das riesige Zimmer mit ebenso großem barrierefreien Bad und Terrasse bietet viel Bewegunsfreiheit. Das ewige Windpfeifen wird allerdings noch vom Brummen des Generators übertönt, der sich direkt neben dem Zimmer befindet und wieder einmal die Erfahrung bestätigt, dass die unattraktiv gelegenen Zimmer als Barrierefreie genutzt werden.
Am südlichen Ende der Bucht, direkt am Fuße des Montaña Roja, soll es außerdem im Hotel Playa Sur barrierefreie Zimmer geben.

Essen
Leckere, landestypische Tapas gibt’s im La Lata de Gofio an der Plaza Roja, ein paar Meter weiter nebenan kann man in Manfred’s Soul Café den Sonnenuntergang genießen. Treffpunkt im Ortskern ist das Surf Café mit regelmäßigen Jam Sessions, direkt nebenan serviert das Oso regionaltypische, nachhaltige Küche – und auch mal Rheinischen Sauerbraten. Ebenfalls viel Wert auf Nachhaltigkeit und Bio-Qualität legt das Restaurant Santa Maria und im Agua Café an der Uferpromenade gibt’s Hochprozentiges und Vitaminreiches mit Blick auf die Surfer und Kiter.

Alles zum Urlaub auf Teneriffa auf www.webtenerife.com,  Informationen zur barrierefreien Planung auf www.tenerife-accesible.org