Wieviel Gegensätze verträgt eine Beziehung

Gegensaetze

Fast immer fallen bei diesem Thema irgendwann die Sprichwörter „Gegensätze ziehen sich an“ und „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ verbunden mit der Fragestellung, was stimmt denn jetzt? Die Antwort ist ein klares „Sowohl als auch“.

Wir DENKEN, dass wir unser Gegenteil suchen, doch laut Forschungen stimmt das nicht. Wir suchen stattdessen eher uns selbst im Gegenüber. 

Eine Umfrage unter Nutzern einer Online Datingplattform ergab, dass 86 % behaupten, sie suchen eher  einen ungleichen Partner, doch bei einem Vergleich ihrer Suchprofile und den eigenen Eigenschaften ergab sich  eine fast komplette Übereinstimmung der Charaktereigenschaften. Wir machen uns also gerne etwas vor, wenn es um unsere eigene Suche nach einem Partner geht.

Das hat auch der britische Psychologe David Perrett mit folgendem Experiment bestätigt. Er nahm ein Foto seiner Versuchspersonen und veränderte es am Computer in Richtung des anderen Geschlechts,  also jeweils so, dass aus einem weiblichen Bild ein männliches wurde und umgekehrt. Anschließend wurde dieses Foto unter andere Fotos von möglichen Partnern gemischt und die Versuchspersonen durften auswählen, zu welcher Person sie sich hingezogen fühlten. Alle wählten das eigene, veränderte Bild.

Das zeigt uns also, dass Menschen, die sich einen festen Partner wünschen, eher nach einem Menschen Ausschau halten, der uns selbst ähnlich ist. Das spannende an diesem Experiment ist jedoch, dass wir uns darüber nicht bewusst sind. Denn laut o.g. Umfrage glauben wir ja, wir suchen eher nach unserem Gegenteil.

Und noch etwas wird dadurch deutlich, das eigene Selbstbild und die Selbsteinschätzung sind ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl. Was bedeutet das nun für uns, wenn unser Selbstbild z.B. verzerrt ist oder wenn wir gar kein so gutes Selbstbild haben?

Mangelndes Selbstwertgefühl und geringes Selbstvertrauen verleiten manchmal dazu, sich einen Partner zu suchen, der gerade deshalb anders ist, weil wir von uns selbst nicht soviel halten. Bewusstes Suchen nach Gegensätzen kann die Sehnsucht nach Ergänzung ausdrücken. Sie entsteht, wenn ein Mensch sich alleine nicht vollständig fühlt: nicht komplett, nicht stark, nicht kompetent, nicht bereit, nicht gut genug für die Welt und das Leben.

Die Sehnsucht nach harmonischer Ergänzung ist vollkommen legitim. Schwierig wird es erst, wenn diese Gegensätze schwächende und destruktive Verhaltensweisen (Resignation, Machtmissbrauch) begünstigen und die Selbstentfaltung verhindern. Denn wenn beide Partner zu viele Kompromisse eingehen müssen, bedeutet das oft, dass ihnen ihre Beziehung nicht das Leben ermöglicht, welches sie eigentlich führen wollen und das kann auf Dauer sehr unglücklich machen.

Wer sich in einer solchen Form der Gegensätzlichkeit gefangen sieht, sollte versuchen, die ungesunden und destruktiven Verhaltensweisen zu ändern oder aufzubrechen. Dazu braucht es manchmal Unterstützung von außen. Zum Beispiel, um Klarheit zu finden, ob die Kompromisse wirklich zu groß sind und auch, um das eigene Verhalten von destruktiv in konstruktiv zu verwandeln. Das ist möglich.

Am Ende bleiben natürlich nur diese drei Verhaltensweisen übrig:

  1. Die Unterschiede sind zu groß und das Paar entscheidet für die Trennung
  2. Beide versuchen sich zu ändern, wobei klar ist, dass wir immer nur uns selbst aber niemals den Partner ändern können
  3. Beide akzeptieren einander so wie sie sind und es wird kein Drama mehr aus den Gegensätzen gemacht.

Es gibt aber auch Gegensätze, die lassen sich nicht so „einfach“ vereinbaren. Dafür lohnt sich erneut ein Blick auf die Partnerbörsen im Internet. Dort wird ein Algorithmus verwendet, der nach hohen Übereinstimmungen vor allem bei den folgenden Gegensatzpaaren such. Hierbei handelt es sich um die Bereiche, die sich kaum verhandeln lassen, denn bei aller Liebe können wir uns in diesen Grundausrichtungen nicht verändern:

  • Nähe – Distanz
  • Dominanz – Unterordnung
  • Selbstständigkeit – Abhängigkeit

Finden sich in diesen Bereichen hohe Übereinstimmungen, werden die beiden Menschen einander als mögliche Partner vorgeschlagen. Dieser Algorithmus wurde entwickelt, weil Partner, die ein ähnliches Verhalten in diesen Grundausrichtungen zeigen, angeblich die besten Chancen haben, eine glückliche und langanhaltende Beziehung zu führen. Wer Erfahrungen mit Online Datingplattformen hat, weiß, dass das alles nicht so einfach ist, wie der Algorithmus uns weiß machen will. Dennoch sind sie nicht ganz von der Hand zu weisen.

Interessant ist vor allem, dass es gerade diese Ausrichtungen sind.

Nähe – Distanz

Gut hier macht es Sinn, denn wenn ein Partner Nähe nicht besonders gut aushält, wird es schwer für den anderen, wenn er die Nähe unbedingt braucht, um sich geliebt zu fühlen.

Dominanz – Unterordnung

Das scheint nicht zu stimmen, es scheint nahe liegender zu sein, dass ein dominanter Partner, sich besser einen sich unterordnenden Menschen sucht. Erst wenn sich zwei dominante Persönlichkeiten zusammen finden, hat die Beziehung eine Chance, zumindest dann, wenn es den beiden wirklich um Weiterentwicklung geht, denn jeder kann seine eigene Dominanz nur spüren, wenn es ein echtes Gegenüber gibt, das Dagegenhalten kann.

Selbstständigkeit – Abhängigkeit

Bei diesem Gegensatzpaar ist die Gefahr sehr groß, in dem Partner die eigenen Eltern zu sehen, oder ihn (oder sie) zum Kind zu degradieren. Sind beide gleich abhängig voneinander, finden sie im besten Fall  einen gemeinsamen Weg, wirklich erwachsen zu werden. Bei ähnlicher Selbstständigkeit wirkt die Beziehung von außen vielleicht nicht so romantisch, aber das muss ja nicht immer der höchste Wert einer Beziehung sein.

In allen anderen Bereichen des Menschseins sind die Unterschiede in der Partnerschaft also kein Hinderungsgrund, eine glückliche Beziehung zu führen. Damit bestätigt sich tatsächlich die Beobachtung der meisten Paartherapeuten, dass jedes Paar eine gewisse Anzahl an ungelösten „Problemen“ hat. So zum Beispiel erklären sich die ständigen Streitereien um das Thema Ordnung, Kindererziehung oder Geld. Sie gehören zu einer guten Beziehung dazu und es geht mitnichten darum, eine Lösung zu finden.Gegensaetze in Beziehungen

Dr. Peter Orban hat in dem Interview, das ich mit ihm anlässlich des Aufstellungskongresses zum Thema Paarbeziehung führen durfte, gesagt, dass er und seine Frau so ziemlich immer anderer Meinung sind. Als Beispiel brachte er die Wahl des Fussbodenbelages im Wohnzimmer, seine Frau wollte Holz er wollte Teppich – oder umgekehrt. Sein Hauptanliegen mit diesem Beispiel war, dass es für eine gut funktionierende Beziehung jetzt ganz wichtig sei, nicht einfach nachzugeben, einfach nur damit „Ruhe“ ist. Stattdessen rät er dazu, solange zu verhandeln, bis es eine Entscheidung gibt, mit der beide leben können, meistens sei das ein Kompromiss. Sie hätten sich dann dafür entschieden, einen Teil des Wohnzimmers mit Teppich auszulegen und den anderen mit Holz.

Ich selbst habe ein ähnliches Beispiel. Es geht um unser Sofa. Mein Mann wollte immer ein Ledersofa und ich finde nichts ungemütlicher als ein Ledersofa…. Bei unserem ersten gemeinsamen Sofakauf vor vielen Jahren haben wir uns dann für Kunstleder entschieden. Das war ein schrecklicher Kompromiss, der wirklich niemanden von uns froh gemacht hat. Wir haben dann auch irgendwann festgestellt, dass jeder von uns dachte, mit dem Kauf dieses Kunstlederdings dem anderen einen Gefallen getan zu haben. Sowas passiert unter Paaren, egal wieviel Kommunikationskurse sie auch besucht haben 😉

Und so waren wir dann nach ein paar Jahren mit diesem Kompromiss beide wirklich froh, als dieses Teil im letzten Jahr vollkommen auseinander fiel. Es wurde endlich Zeit für ein neues Sofa. Das Spiel ging von vorne los, ich immer noch KEIN Ledersofa, mein Mann immer noch NUR Ledersofa. Diesmal habe ich mich durchgesetzt. Keine Ahnung warum mein Mann nachgegeben hat, aber jetzt haben wir ein wunderschönes rotes Stoffsofa. Leider gefällt es meinem Mann nicht wirklich. Er hat scheinbar aus Rücksicht auf meine Wünsche dem Kauf zugestimmt. Allerdings ist es jetzt so, dass er fast jedesmal wenn er sich auf das Sofa setzt, darüber schimpft. Entweder stören ihn Flecken oder Fusseln darauf.  Leider hat er recht :-(, man kann wirklich jeden Fussel sehen. Mir gefällt das Sofa zwar immer noch, aber mir gefällt die schlechte Laune meines Mannes nicht und ich sehe jetzt auch immer mehr die Flecken und Fusseln…. Es ist einfach nicht schön, sich gegen den anderen durchzusetzen. Beim nächsten Sofa wird alles anders….

Genau dieses Thema hat auch Philipp Kansa in dem Interview auf der Stimmkonferenz von Dorothea Sahlmüller aufgegriffen. Er ist sogar noch radikaler und behauptet, dass er und seine Frau niemals einen Kompromiss eingingen, sondern, dass sie beide solange nach einer Lösung suchen, bis sie die gefunden hätten. Diese Lösung müsse unbedingt beide Aspekte vereinen und sowohl er als auch seine Frau müssten am Ende sagen, dass die so gefundene Lösung besser sei als die, für die sie sich ohne den anderen entschieden hätten.

Im Falle des Sofas wäre das wohl ein veganes „Ledersofa“, das vor allem warm, weich, schmutz- und fusselresistent ist und das dann auch noch in einer schönen,  kräftigen Farbe, rot oder sonnengelb….. 

Der zweite Unterschied, der ebenfalls in langjährigen Paarbeziehungen zu ständigen Streitereien führt ist das unterschiedliche Tempo. Auch dieser Unterschied zwingt beide Partner immer wieder dazu einen Kompromiss zu finden. Die unterschiedliche Geschwindigkeit klingt vielleicht harmlos, ist sie aber nicht. Wenn einer ständig auf den anderen warten muss, ist das im Alltag wirklich zermürbend.

Irgendein Schriftsteller hat mal gesagt, dass er ganze Romane geschrieben habe in der Zeit, in der er auf seine Frau wartete. Leider sind wir nicht alle Schriftsteller. Was also tun mit der Zeit während wir auf den oder die andere(n) warten? Selber immer langsamer werden? Sich Zeit lassen? Den anderen beschleunigen durch ständiges Antreiben? Da sich keiner von beiden ändern kann, gibt es an dieser Stelle auch keinen übergeordneten Kompromiss, den es zu finden gilt. Was hilft?

Da der langsamere von beiden Partnern immer die Geschwindigkeit bestimmt, das geht gar nicht anders, wäre es doch schön, wenn sich der schnellere zum Ausgleich vom langsameren Partner etwas wünschen dürfte. Vielleicht geht es nur darum, ein klareres Bewusstsein zu schaffen für die Verlangsamung des Partners, die wir ihm oder ihr aufdrücken? Wenn das Warten als ein Dienst an der Beziehung angesehen wird, verliert es bestimmt einen Großteil der Frustration.

Und wie immer kommt es auf die innere Haltung an, in der sich der oder die Wartende befindet. Das bedeutet also, es lohnt sich, die Wartezeit so gut wie möglich für sich selbst zu nutzen – auch als Nicht-SchriftstellerIn.  

Außerdem ist es für jede längere Beziehung gut, wenn beide auch mal etwas getrennt voneinander unternehmen. Es geht dabei um eine gesunde Form der Differenzierung. Gerade Paare, die sportlich auf einem stark gegensätzlichen Level sind, kämpfen immer wieder damit, dass sie ihre eigene Geschwindigkeit dem anderen anpassen müssen. Wieder muss natürlich der schnellere langsamer werden oder er tobt sich woanders aus, damit er dort die Chance hat an die eigenen Grenzen zu kommen. Der langsamere KANN einfach nicht schneller, außer vielleicht indem er oder sie auf das E-Bike umsattelt. Plötzlich kehrt sich die Situation um! Der zuvor langsamere ist auf einmal schneller. Wunderbar, denn getreu einem Sprichwort der Indianer, „Urteile nie über einen anderen bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist“, erlebt dieser die Situation des anderen am eigenen Leib, das kann nur zu mehr Verständnis füreinander führen.

Wenn es alleine nicht gelingt, holt euch doch einen Termin für ein kostenloses Vorgespräch und lasst mal einen Profi ran!