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Politikwechsel? Das Care-Zeit Budget als neues Lebenslaufmodell?

Atmende Lebensläufe für mehr Familienzeit?

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Quelle: pixabay.com

 

Tagelang liegt die aktuelle Elternzeitschrift schon hier rum und ich hatte keine Zeit mal reinzulesen.

 

Erst der Job, dann das Kind und nebenbei noch umziehen. So sieht zur Zeit der Alltag aus.

 

Da bleibt nicht viel Zeit für sich selbst.

 

Nun sitze ich hier und lese nacheinander die Artikel durch, bis ich auf „Politikwechsel, bitte!“ stoße.

 

 

Im Artikel geht es darum, wie sich das Elternsein in Bezug auf den Job und das Mutterbild in den letzten 50 Jahren gewandelt hat. Außerdem wird davon geschwärmt wie der Familienalltag in 10 Jahren aussehen könnte: kein Rechtfertigungsdruck für das eigene Lebensmodell, beide berufstätige Eltern kümmern sich auch gemeinsam um die Kinder, alle neuen Gesetze werden vor Umsetzung auf Familienfreundlichkeit untersucht,... Deutschland möchte also das familienfreundlichste Land Europas werden.

 

Im Eltern Artikel wird speziell auch nochmal auf die wöchentliche Arbeitszeit eingegangen.

 

Spannend ist ja, dass die 40-Stunden Woche in Zeiten entstanden ist, in denen es einen Erwerbstätigen in der Familie gab und die Frau hielt ihm zu Hause den Rücken frei.

Heute wird es aber immer normaler, dass in einer Familie 70-80 Wochenarbeitsstunden vereint werden.

Auch in unserer Familie kommen jede Woche mindestens 70 Arbeitsstunden zusammen. Kaum ist Feierabend muss man dann Sohnemann von der Tagesmutter abholen. Zeit für sich selbst hat man dann erst wieder, nachdem das Kind im Bett, die Wohnung aufgeräumt und alle „Familienverwaltungstätigkeiten“ erledigt sind.

 

In unserer Familie beläuft sich diese Zeit häufig auf: „Ich geh noch schnell auf Toilette, mache mich bettfertig und leg mich dann zu dem Kleinen“

 

Freizeit? Nicht so üppig...

 

Das Problem besteht laut Dr. Karin Jurzcyk, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik, unter Anderem darin, dass die Frauen sich in Deutschland zwischen „Leben als Vollzeitmutter/-vater“ oder „Leben als erwerbstätige/r Mutter bzw. Vater“ entscheiden sollen. Wenn die Mütter dann wieder in das Berufsleben einsteigen, bleibt oft die meiste Hausarbeit und Kinderbetreuung trotzdem noch an Ihnen hängen. Der Beruf kommt also noch on top hinzu.

 

Vorgeschlagen wird deshalb das Modell „atmende Lebensläufe“ oder auch Care-Zeit-Budget. Leider wird das im Artikel nicht sehr ausführlich erklärt.

 

Ich begann also zu recherchieren.

 

Bei dem Modell handelt es sich um eine Gestaltungsoption in der berücksichtigt werden soll, dass „Menschen nicht nur ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern auch andere versorgen wollen oder müssen“. Dies bedarf allerdings den Grundlegenden „Wandel der Geschlechter-, Familien-, Generationen- und Arbeitsbeziehungen“.

 

Das „Care-Zeit-Budget“ stellt dabei ein Guthaben dar, „aus dem der Staat seinen Bürgern jenen Lohnausfall ersetzt, der entsteht, wenn diese sich für einen begrenzten Zeitraum ihren Care-Aufgaben annehmen“. Hierzu gehören z.B. die Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder Rekreation.

 

Angedacht ist hierbei die Lebensarbeitszeit für Care-Bedarfe individuell unterbrechen oder reduzieren zu können. Hierzu soll es ein festes Zeitbudget geben, welches man selbst während der eigenen Erwerbsbiografie verteilen kann.

 

Wie soll das Ganze finanziert werden?

 

Denkbar wäre hier die großen Posten Altenplege und Kinderbetreuung wie bisher auch als Lohnersatz aus öffentlichen Geldern zu finanzieren. Aus- und Fortbildungen innerhalb des Care-Zeit-Budgets wären vom Arbeitgeber zu finanzieren.

Aber auch Mußezeiten und Zeit für „Rekreation“ soll so möglich sein, die Finanzierung hierfür läge allerdings in der „individuellen Verantwortung“.

 

Mittels dieses Modells soll es also möglich sein, sich seine Zeit möglichst frei einteilen zu können, ohne zum Einen, in finanzieller Unsicherheit leben zu müssen und sich zum Anderen auch nicht rechtfertigen zu müssen.

 

Ist das wirklich möglich?

 

Beschäftigen sich auch Parteien mit diesem Modell?

 

Wenn ich mir die Wahlprogramme für die Bundestagswahl 2017 anschaue läuft es eher auf das Modell „wir fördern die Ganztagesbetreuung“ um den Familien eine gute Vereinbarkeit von „Beruf und Familie“ zu ermöglichen heraus. Von „wir ermöglichen den Familien eine flexiblere und individuellere Gestaltung ihres Berufs- und Familienlebens“ steht da leider kaum etwas. Die „Familienarbeitszeit“ der SPD geht bereits etwas weiter in die Richtung.

 

Und was denke ich darüber?

 

Ich halte das Modell ja für sehr revolutionär, muss aber zugeben, dass es mir schwer fällt mir das Ganze vorzustellen.

 

Wenn ich das Ganze aus Sicht der ehemaligen Vorgesetzten mehrerer Mitarbeiter sehe, denke ich Folgendes: Wie soll ich mit solchen Mitarbeitern planen? Wie soll man denn organisieren, dass Mitarbeiter A sich mal eine Auszeit nimmt, Mitarbeiter B ein paar Monate mal kürzer Tritt um sich um die Familie zu kümmern und Mitarbeiter C eine Pause macht um Oma zu betreuuen? Für diese Zeit muss man dann andere Mitarbeiter einstellen. Was aber tun, wenn Mitarbeiter A, B und C wieder zurück kommen? Die neuen Mitarbeiter entlassen? Das wäre nicht gerade im sozialen Sinne des Modells. Einfach mehr Mitarbeiter haben als ich eigentlich benötige? Wer zahlt das?

 

Als Mama denke ich: Hört sich gut an. Aber kann man sich das dann wirklich leisten? Wenn ich mir überlege, dass das Ganze in Richtung „verlängertes Elterngeld“ gehen könnte schwindet bei mir die Begeisterung. Denn das Elterngeld ist zwar schön zu haben, aber doch eine nicht unerhebliche finanzielle Einbuße. Ich glaube nicht, dass sich das jede Familie über einen längeren Zeitraum hinweg leisten kann.

 

Oder es geht tatsächlich wirklich in Richtung vollen Lohnausgleich. Aber wie soll das finanziert werden?

 

Und was ist mit den Vorurteilen? Verschwinden die mit einer Reform?

Wenn ich allein die Möglichkeit der Elternzeit für Väter sehe. Wie oft kommen hier blöde Kommentare, gerade auch von Vorgesetzten? Dass Frauen durch ein Kind eine Weile aus dem Verkehr gezogen werden, scheinen die Chefs ja (teilweise) akzeptiert zu haben. Aber dass die Väter jetzt auch noch monatelang bezahlten Urlaub nehmen können, scheint diese doch teilweise im Ansehen der Vorgesetzten sinken zu lassen.

 

Wie soll das werden, wenn man sich mal zwei Monate „Mußezeit“ nehmen möchte. Muss man sich für diese „leeren“ Zeiträume im Lebenslauf dann nicht mehr rechtfertigen? Werden Mitarbeiter, die brav arbeiten kommen, keine familieären Verpflichtungen haben und auch sonst eher „traditionell“ unterwegs sind dann nicht bevorzugt?

 

Was denkt Ihr? Was haltet ihr von dem „Care-Zeit-Budget“? Denkt ihr, dass so etwas die Zukunft ist?

 

 

Quellen:

Flyer Jahrestagung 2015 der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik

http://www.koerber-stiftung.de/demografischer-wandel/im-fokus-neue-lebensarbeitszeit/nachrichten/news-details-lebensarbeitszeit/artikel/politischer-mittag-mit-karin-jurczyk-und-ulrich-mueckenberger.html

http://www.koerber-stiftung.de/gesellschaft/politische-mittage/gespraeche/politischer-mittag-06072016.html


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