Spieler, Zocker, Gambler – Machterhalt um jeden Preis

Weltfremde Theresa May befeuert Konflikte

Man mag es kaum glauben, aber David Cameron, der frühere britische Premierminister, der das Brexit-Debakel aus innerparteilichen Gründen einleitete, wurde nach einem knappen Jahr vom Thron gestoßen. Theresa May, seine Nachfolgerin, hat ihm den Titel des Oberzockers der Nation abgejagt. Ausgehend von einer schönen Mehrheit im britischen Parlament rief sie Neuwahlen aus und stürzte bei dem Versuch ab, die Labour Party zu zerstören und sich selbst zur ungekrönten Königin der konservativen Partei aufzuschwingen: Durch die eigene (Fehl-)Entscheidung die Parlamentsmehrheit zu verlieren, beflügelt bei den Conservatives bereits die Suche nach einem Nachfolger.

Über die innerparteilichen Probleme sollten wir aber nicht vergessen, dass Theresa May auch andere schwelende Konflikte befeuert: Die Brexit-Diskussion erhält eine neue Dimension und die Tolerierung einer May-Regierung durch die nordirische Democratic Unionist Party kann eine neue heiße Phase des Nordirlandkonflikts einleiten. Die Parlamentsmehrheit ist zwischen Theresa Mays Fingern zerronnen, sie hat nichts gewonnen und die Briten sind geteilter denn je.

Die Blütenträume der Conservatives sind verwelkt: Theresa May führte ihre Partei ins Chaos. (Bild: Ulsamer)

Kleinkarierte Hybris

„Strong and stable“, so betonte May während des Wahlkampfs könne nur sie das Vereinigte Königreich in eine goldene Zukunft führen. Paul Flynn, ein altgedienter Labour-Abgeordneter, fragte im Parlament den Speaker, ob bei Tory-Abgeordneten ein Microchip implantiert worden sei, der sie alle „18 seconds“ die Worte “strong and stable” wiederholen lasse. Natürlich würde sich nach einem „hard brexit“ das Königreich zu einem „global Britain“ in ganz neuem Glanz entwickeln. Die herben Sitzverluste erschütterten Theresa May äußerlich kaum, schnell eilte sie zu Königin Elizabeth II und holte sich den Auftrag zur Regierungsbildung ab. Und unverdrossen erklärte sie, dass nur sie „certainty“ schaffen könne. Warum ausgerechnet eine Zockerin, die fahrlässig Wahlen ausrief und verlor, Sicherheit in turbulenten Zeiten bieten könne, das sagte sie nicht. Wer als Tiger startet und als Bettvorleger landet, der sollte zumindest erkennen lassen, dass er in die Realität zurückgekehrt ist. Eine selbstkritische Einschätzung der Lage hätte nicht geschadet. Aber Demut – Fehlanzeige.

Den gesamten Wahlkampf hatte Theresa May uninspiriert hinter sich gebracht. Erschreckend ist es für mich wie sich Hybris bei der britischen Politikerin mit Kleinkariertheit zu einer Mischung verbindet, die ständig neue Konflikte hervorruft. Schadenfreude ist allerdings in keinster Weise angebracht: Die Verhandlungen zum Brexit enthalten genügend Explosivkraft, weitere brandgefährliche Konsequenzen könnte die Wahl der Demokratic Unionist Party (DUP) als Hilfsrad am demolierten Regierungsvehikel haben.

Rücksichtslos die Macht sichern

Theresa May hat das Spiel um einen Ausbau ihrer Parlamentsmehrheit zwar verloren, doch als echte Zockerin glaubt sie, das nächste Blatt wird schließlich noch zum Sieg führen. Sie nimmt dabei auch keinerlei Rücksicht auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Sofort hat sie sich mit der nordirischen DUP zusammengetan, die ihre Regierung unterstützen soll. Prinzipiell ein „normaler“ Vorgang in einer Demokratie. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, welche Gefahren hier drohen.

Die DUP ging mit 10 Sitzen gestärkt aus der Parlamentswahl hervor. Sie repräsentiert die Protestanten in Nordirland, die auf enge Verbindungen zu London setzen. Aus dieser Tatsache resultiert auch weiterhin ein schroffer Gegensatz zu Sinn Fein, der Partei der Katholiken. Die auf sie entfallenen sieben Sitze werden aller Voraussicht nach von den gewählten Abgeordneten nicht eingenommen werden, da Sinn Fein letztendlich auf einen Anschluss Nordirlands an die Republik Irland hinarbeitet und seit alters her die Unterhaussitze nicht wahrnimmt.

Die Democratic Ulster Party repräsentiert insbesondere den protestantischen Bevölkerungsanteil in Nordirland, der zwar die Schlüsselpositionen im Land besetzt, sich zum Teil dennoch belagert fühlt. (Bild: uLsamer)

Mag der Konflikt in Nordirland seit dem Karfreitagsabkommen, das der frühere US-Senator George Mitchell in Nordirland aushandelte, auch weniger gewalttätig sein, so brodelt es doch noch immer unter der Oberfläche. Und Mitchell sah große Gefahren durch den Brexit. Getoppt wird die Bedrohung nun durch die Wahl eines Regierungspartners wie der DUP. Die Premierministerin setzt aber den eigenen Machterhalt über die berechtigten Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen! Ich hoffe sehr, dass es in Nordirland gelingt, wieder eine Regierung mit der DUP und Sinn Fein zu bilden, aber leichter wird dies durch die neue Konstellation in London nicht.

Hard Brexit

Im britischen Wahlkampf spielten die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Brexits nur eine untergeordnete Rolle. Auch die Labour Party schwamm im Ausstiegsstrom mit, und sie verhinderte damit eine offene Diskussion, an der May ohnehin nicht gelegen war.

Zu den unangenehmen Fragen beim Brexit gehört die Situation an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland: Panzersperren und Kontrollpunkte gehörten während der „Troubles“ zum Alltag, heute bemerkt man von dieser Grenze nichts mehr, ein erfreuliches Signal, das gerade für die nordirischen Katholiken von zentraler Bedeutung ist. Zur Befriedung im Norden der irischen Insel trug vor allem diese offene Grenze bei, denn sie vermittelte besonders der katholischen Bevölkerungsgruppe das Gefühl, dass man jederzeit ohne Kontrolle in die Republik reisen könne. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Gedanken in bestimmten Gruppen die Oberhand gewinnen könnten, wenn die Grenze wieder ihren alten Charakter bekommen sollte.

Zwar sind sich die EU-Politiker dieses Problems bewusst und auch May hatte die Thematik schmallippig angesprochen, aber niemand hat bisher einen Plan entwickelt, der greifen könnte, wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt und dies ohne eine Regelung zur „Common Travel Area“.

“The Centre for Cross Border Studies, which has offices in Armagh and Dublin, has estimated that between 23,000 and 30,000 people cross the border daily for work”, berichtet die BBC.  Viele andere überqueren zum Einkaufen bzw. auf dem Weg zum Arzt oder in die Schule die Grenze. Mögen diese Zahlen im Vergleich zu den europaweiten Auswirkungen des Brexits klein erscheinen, so sind sie doch nicht zu vernachlässigen. Den Frieden in Nordirland zu erhalten, muss zu den zentralen Verhandlungsthemen zwischen EU und Vereinigtem Königreich gehören. Nicht übersehen sollten wir auch, dass 56 % der Nordiren gegen den Brexit gestimmt haben.

Keine Eiserne Lady

Premierministerin May versuchte sich während des Wahlkampf, der leider von zwei blutigen islamistischen Terroranschlägen überschattet wurde, als die Politikerin darzustellen, die für Sicherheit im Lande steht. Auch der von ihr vorangetriebene Brexit soll ja mit dazu dienen, die Grenzen gegen Migranten besser sichern zu können. Merkwürdig mutet es dann an, dass ausgerechnet sie als Innenministerin fast 20 000 Stellen bei der Polizei gestrichen hatte. Auch dies ist ein Beispiel für das Selbstbild Mays, das so gar nichts mit ihrem wirklichen Handeln zu tun hat.

Völlig daneben ging auch Mays Versuch, sich als Eiserne Lady dazustellen, denn im Gegensatz zu Margaret Thatcher, die das Land von 1979 bis 1990 regierte, fehlt ihr nicht nur das Charisma, sondern auch ein wertebezogener Plan für die Zukunft. Kennzeichnend für sie ist, dass sie ursprünglich gegen den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU eintrat, dann das Fähnchen wendete und sich für den harten Schnitt zwischen ihrem Land und der EU einsetzte. Vor einiger Zeit war sie noch gegen Neuwahlen, dann zettelte sie diese ohne Not an.

So ist es auch zu erklären, dass selbst der Altlinke Jeremy Corbyn während des Wahlkampfs die gewaltige Lücke zwischen der Conservative und der Labour Party immer mehr schließen konnte.

Die überwältigende Blaufärbung täuscht: Viele flächenmäßig große Wahlkreise fielen an die Tories, aber die kleinen roten Flecken symbolisieren das Erstarken der Labour Party. In Wales, Schottland und Nordirland domieren ohnehin Labour bzw. regionale Parteien wie  die walisische Plaid Cymru, Scottish National Party bzw. in Nordirland die protestantische DUP und ihr katholischer Gegenspieler und bis vor kurzem Regierungspartner Sinn Fein. Übrigens: Manche deutschen Medien könnten sich von der professionellen und objektiven Berichterstattung der BBC ein Stück abschneiden. (Bild: Screenshot, BBC-Internetseite)

Taktik alleine genügt nicht

Generell habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich Theresa May wie David Cameron zu wenig mit der Wirklichkeit in ihrem Land beschäftigt haben. Wunschdenken und Realitätsverlust bilden eine Schicht, die den Blick ins tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger versperrt. Beide haben zu einseitig auf Parteitaktik gesetzt und beide haben verloren: Cameron verlor die Brexitabstimmung, denn er wollte in der EU verbleiben, hatte dieses Referendum aber zugelassen, um die Aussteigerfraktion in der eigenen Partei auszuschalten. Danach entsorgte ihn seine Partei und Theresa übernahm die Tory-Führung. Sie riskierte viel, zu viel, und die Parlamentsmehrheit löste sich durch die Neuwahlen in Wohlgefallen auf. Eigentlich ist es kaum denkbar, dass May längerfristig die Konservativen führen und das höchste Regierungsamt bekleiden wird.

Das britische Mehrheitswahlsystem ist für kleine Parteien wie eine Mauer: Die Grünen konnten nur den an der Südküste liegenden Wahlkreis Brighton Pavilion erobern. (Bild: Ulsamer)

Parteitaktik ersetzt keinen umfassenden inhaltlichen Ansatz. Und auch das Mehrheitswahlsystem, das zumeist eine stabile Regierungsmehrheit sichert, hat May nicht geholfen. Ob sie mit einer von der DUP unterstützten Regierung die anstehenden Probleme sachgerecht meistern kann, das bezweifle ich. Den Brexitverhandlungen könnten weitere Parlamentswahlen in die Quere kommen.

Zocken führt ins Chaos

Wie immer es auch weitergeht, eines wurde klar: Spieler, Zocker und Gambler haben auch im Vereinigten Königreich nicht immer das beste Blatt, auch wenn sie diesen Eindruck erwecken. Allerdings ist der Flurschaden, den sie hinterlassen, nicht zu übersehen. Nur dumm, dass stets die Bürgerinnen und Bürger die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen führende Politiker einbrocken. Und dies gilt nicht nur für Engländer, Waliser, Schotten und Nordiren.

 

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