Mancher kann sich kaum noch erinnern, welche Strapazen man früher für ein günstiges Gespräch zur Familie in Istanbul oder zum Freund in Warschau auf sich nehmen musste. Die Luft im Callcenter war stickig, die wackeligen Stühle mochte man seiner Wirbelsäule nicht länger als unbedingt nötig zumuten und die klebrigen Telefonhörer knarzten bei jedem Gespräch. Dennoch erfreuten sich die Callcenter in den deutschen Großstädten gerade bei ausländischen Mitbürgern lange Zeit einer hohen Beliebtheit – auch weil es für diese kaum praktikable Alternativen gab, um günstig ins Heimatland zu telefonieren.
Telefonieren (nicht nur) nach Hause
Diese Zeiten sind jedoch längst passe, denn etliche Mobilfunkanbieter haben sich das günstige Telefonieren ins Ausland auf die Fahnen geschrieben. Doch auch der Minutenpreis ins deutsche Festnetz ist meist auf dem Niveau von Simyo, Alditalk und anderen Discountern. Die SIM vom Ethno-An-bieter ist also nicht mehr nur eine zusätzliche Karte, viele Kunden nutzen sie auch für ihre Telefonate innerhalb Deutschlands. Die Anbieter unterstützen diesen Trend und bieten neben Sprach-Flatrates ins In- und Ausland auch verstärkt Datentarife an.
Während die meisten normalen Discounter vorzugsweise übers Internet vermarktet werden oder bei Lebensmittelketten wie Aldi, Lidl und Rewe in den Regalen liegen, steht bei den Ethno-Discountern vor allem der Fachhandel im Mittelpunkt der Vermarktungsstrategie. Auch etliche Distributoren wie etwa Herweck oder Komsa sowie Kooperationen wie ElectronicPartner haben die Pakete der Discounter im Sortiment.
Diese Handelsnähe von Lebara, Blau-world, Ortel und Co. liegt jedoch nicht daran, dass die Tarife besonders erklärungsbedürftig wären – eher das Gegenteil ist der Fall. Der Fokus auf den stationären Handel ist vor allem der Mentalität der Kunden geschuldet, die einfach lieber beim Händler ihres Vertrauens eine Aufladekarte abholen und dazu gleich auch eine Tasse frisch gebrühten Tee serviert bekommen. Die Anbieter tragen dieser Verbindung zwischen Händler und Kunde Rechnung, indem sie, wie beispielsweise Lycamobile oder Turk-cell, einen Shopfinder prominent auf der Website platzieren. Hier sieht der Kunde mit einem Klick, in welchen Shops er seine Karte nur aufladen und wo er auch eine neue SIM kaufen kann.
Support im Tagesgeschäft
Auch bei der direkten Unterstützung der Händler im Tagesgeschäft stehen die Eth-no-Anbieter den großen Netzbetreibern kaum nach. Neben den üblichen Flyern, Give-aways und Gehwegstoppern bieten manche auch aufwendigere Lösungen an. „Wer sich dazu entschließt, einen Großteil seiner Werbeflächen am und im Laden für Ay Yildiz zur Verfügung zu stellen, bekommt einen Mietkostenzu-schuss, außerdem haben wir ein eigenes Möbelprogramm für unsere Händler“, erklärt Stefan Kaas, Geschäftsführer der E-Plus-Tochter, im Gespräch mit Telecom Handel. Bei Blauworld können sich die Händler beispielsweise ihre Ladenfront professionell bekleben lassen, und auch der Firmenwagen lässt sich im Blauworld-Look gestalten. Für den direkten Draht zum Anbieter steht meist eine Re-seller-Hotline zur Verfügung, Lebara geht dabei noch einen Schritt weiter: „Wir bieten unseren Resellern ein Händlerportal auf unserer Webseite, außerdem hat jeder Partner seinen festen persönlichen Ansprechpartner“, sagt Marketingleiter Guido Wirtz.
Bei der Provisionierung wollte keiner der von Telecom Handel befragten Anbieter konkrete Angaben machen, neben den Verkaufsprämien der SIM-Karten gibt es aber bei manchen noch zusätzliche Vergütungen. Lebara etwa zahlt neben „bis zu fünf Prozent Airtime“ auch „Push-Prämien bei befristeten Aktionen“, Ay Yildiz verspricht die „Aufladung der Karten und die Buchung von Optionen zu honorieren“. Bevor man sich also als Händler für einen Anbieter entscheidet, sollte man sich genau über die Provisionen informieren. Denn gerade bei dieser umsatzstarken Zielgruppe kann man mit einer Beteiligung bei jeder Aufladung der Karte dauerhaft Geld verdienen. Und über die hohe Kaufkraft der Klientel sind sich alle Anbieter einig. „Türkische Mitbürger nutzen ihr Handy oder Smartphone sehr intensiv – deutlich intensiver noch als der durchschnittliche deutsche Mobilfunkkunde“, bestätigt beispielsweise auch Stefan Kaas von Ay Yildiz.
Nicht für jeden
Doch wer nun in Goldgräberstimmung verfallen will, der sei gewarnt. Denn auch wenn die Kundenzahlen in den vergangenen Jahren stetig zulegten – Lebara hat seinen Kundenstamm nach eigener Aussage innerhalb eines Jahres sogar verdoppelt -, gilt: Das Geschäft eignet sich nicht automatisch für jeden. „Jeder Händler muss sich vorher auf seine neue Zielgruppe einstellen. Dazu gehört es, im Vorfeld zu analysieren, welche ethnischen Zielgruppen zum Einzugsgebiet des eigenen PoS gehören“, sagt Feyzi Demirel, Mitglied der Geschäftsleitung von Blau Mobilfunk. Und weiter: „Gerade saisonale Themen der jeweiligen Zielgruppe, wie spezielle Feiertage, können gut genutzt werden, um mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten.“
Hinzu kommt die eingangs angesprochene Beziehung zwischen Händler und Kunde. „Unsere Kunden vertrauen sehr stark auf ihre Händler vor Ort und legen Wert auf einen intensiven, persönlichen Kontakt“, sagt Stefan Kaas. Hier kann es von unschätzbarem Wert sein, wenn man einen Verkaufsberater im Shop hat, der die Sprache der Zielgruppe beherrscht – am besten natürlich als Muttersprachler.
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