Mittwoch, 2. Juli 2014

Endlich

Es gibt Tage, in denen fühle ich mich aufgeräumt. Geordnet.
Gefühle in die Räume, in die sie gehören, Menschen unter Kontrolle, ich entspannt.

Es ist eine große Taktikfrage, wem ich mich wann öffne, was ich wem zeige und wann ich Türen schließe.
Für K ist sie zu. Ich hatte gehofft, dass es nicht so früh kommt.
Aber den Raum, den ich nun für mich und zur freien Verfügung habe, genieße ich.
Mehr als ich K genieße.
Außerdem habe ich auch mehr Zeit für alle anderen.
AN ist so glücklich wie schon lange nicht mehr. Womit hab ich sie verdient?
M durfte anschließend meine Nackenverspannungen lösen, und sonstigen angestauten unterdrückten Ärger, weil ich nachts mal wieder nicht in Ruhe schlafen konnte.
Und A...macht Fortschritte.

Somit sind Trennungen für mich eine Erleichterung. Ich muss endlich nicht mehr so tun,
als würde es mich interessieren. Mich nicht anpassen. Nicht fragen, nicht reagieren.
Ich kann in Ruhe auf meinem Bett essen und mich selbst befriedigen.
Meine Welt ist ein Stück einfacher geworden.
Und irgendwann sag ich ihm das.

S hat mich eingeladen...leider habe ich keine Zeit. Ich muss den Wellengang im Auge behalten, Flieger buchen, meine Haare in Ordnung bringen und vor allem: mich entscheiden welches Spielzeug meine Sammlung bereichern wird.
Finden wir heraus, wie hart A zuschlägt. Bald.
Es weht neuer Wind. Endlich.

Montag, 16. Juni 2014

Todleben

Bei mir wohnt ein Arzt. Links unten in der Ecke.
Wie alle anderen zahlt er dafür 204 im Monat.
Heute morgen, als ich vor der Tür saß und auf die Post wartete,
da tauchte er auf. In seinem schicken BMW fuhr er - zur Arbeit.
Ich halte das für intelligent. Wenn er kein größeres Zimmer braucht,
ist es intelligent, wenig dafür auszugeben.
Klar nimmt er einem armen Studenten ein Zimmer weg.
Aber wir sind hier ja kein Moralgericht. Es ist -
solange er Frauen nur ins Auto und nicht nach Hause nimmt -
sehr intelligent von ihm.

K lag heute Nacht neben mir. Ich in seinem Arm.
Er sagt, dass er noch 6 Euro habe. 6, davon sind 3 für ein Theaterstückt,
weil er es sich leisten möchte und 3 zum leben, bis er irgendwie Geld verdient.
In etwas über 20 Tagen wird die Miete abgebucht, 204. Spätestens dann
beginnen die Probleme, sagt er.
Dann sagt er, wenn er in 3 Wochen keinen Job habe, bringt er sich um.
Ich liege da neben ihm und frage mich, ob mich das zu irgendwas verpflichtet.
Ja: ich glaube ihm. 15 Jahre Depressionen und suizidale Gedanken in einer ausweglosen Situation. Denn nüchtern betrachtet kommt er da wirklich nicht mehr raus. Es ist einfach so.
Natürlich ist er selbst Schuld. Er ist eben nicht intelligent.

Leider hilft Schuld nicht und von Einsicht kann man sich nichts kaufen.
Also: muss ich ihm helfen? Wenn ich Geld habe, das aber selber zum leben brauche?
Oder: ihn einweisen? Denn aus psychatrischer Sicht ist er ein Fall für die Geschlossene.

Wie er dann feststellte,
kann er seinem Studium und dem Zimmer dann aus der Psychatrie zusehen wie sie abtauchen.
Und wenn er raus ist, muss er noch die Klinik zahlen. Die ihm schon einmal nicht geholfen hat.
Weder mit den Depressionen, noch mit dem Suizid oder den Drogen.
Es ist eine Lebensspirale, die schief läuft, schon zu lange um sie aufzuhalten.
Zumindest mit dem, was wir haben, er und/oder ich.
Solche Menschen müssen an die Hand genommen werden. Immer und immer wieder.
Wie kleine Kinder. Sonst gehen sie einfach unter, früher oder später.

Er lag also neben mir, mich an sich gedrückt als könnte ich ihn retten.
Das kann ich nicht. Nur die Illusion, die kann ich ihm geben
und Ablenkung bevor es schlimm wird.

Ich glaube, in so etwas gibt es keine richtige Antwort.
Vielleicht für alle, die es sich einfach machen,
die Leben um jeden Preis erhalten und Tod nur sehen, wenn kein Herz mehr schlägt.
Wie alle Menschen stirbt er jeden Tag ein Stück,
jedes Haar, jede Zelle ein kleiner Tod.
Nur er schleicht nicht, er rast. Er bröckelt und fällt
und hält und flickt und stopft und es bringt nichts.
Was er zusammenkriegt in der einen Hand, ist bereits brüchig in der anderen.

Bin ich jetzt verantwortlich?
Und wenn er in 3 Wochen einfach verschwindet, wie die Zellen, die er in meinem Bett verteilt hat, sich auflöst und einfach aufhört da zu sein,
ist es dann falsch, wenn ich mich für ihn freue?
Ich glaube, dann hat er auf einmal einen großen Schritt gemacht.

Donnerstag, 12. Juni 2014

Drogensuche



Es war genauso warm. Wie heute, nur weniger schwül, als mein Kollege und ich einen seiner Patienten trafen.  Er begann ein Gespräch, es drehte sich um Unwichtiges, Essen und das Wetter. Seine Frau und die Mädchenkinder warteten geduldig. Als unser gemeinsamer Weg Richtung Ende lief, musste ich doch noch einmal fragen. 
Wie kommt es, dass Sie so schwer krank sind, rutsche es mir heraus. Sein graugrünes Gesicht leuchtete auf, als ob ihm diese Frage einen Energieschub besonderer Art geben würde, die Flasche mit dunkelgelber Flüssigkeit baumelt glücklich im Takt seiner energischen Bewegung, mit der er sich ein wenig aufrichtet und mir zuwendet. 
Da ist viel Vergnügen in ihm und auch etwas jugendlicher Schalk. Alles tauchte plötzlich auf, bei seinem Zustand wirkt es fast unwirklich. Sie dürfen ruhig fragen. Es geht um das Licht, erklärt mir seine Frau. Ich wirke verständnislos.
Er versucht zu erklären: Es geht darum, das Licht zu fangen, das abprallt. Mit den Augen. Das Licht mit den Augen zu fangen und festzuhalten, sodass der ganze Kopf glüht, voller Energie, hinter den Lidern einen Lichtball. Ich kann es mir nicht ganz vorstellen.
Seine Frau sagt, nicht irgendein Licht, es muss das Licht einer Kerze sein, das von ihr widerscheint. Manchmal, wenn man gut ist, kann man es auch direkt auffangen, direktes Licht einfangen, sagt der Mann. Das ist am besten. 
Er wirkt, als ob er es einem kleinen ahnungslosen Kind erklärt, aber er möchte es erklären, er ist es wohl  auch gewöhnt, dass ihn niemand versteht und möchte es richtig machen. Ich kann mir trotzdem nichts darunter vorstellen. In meinem Kopf habe ich ein Bild von rotem Licht hinter geschlossenen Lidern, aber so ist es wohl nicht, und wie ich es fangen soll, keine Ahnung, ehrlich gesagt.
Er wirkt glücklich, so mit sich, trotz seines Endzustandes, und seine Frau auch. Nur die Kinder sind erwachsen ernst. Ernste kleine Gesichter, die wortlos bleiben, weil sie nichts dazu sagen können.
Ich frage mich, ob er manchmal immer noch Licht fängt, und ob ihm das jetzt hilft oder seinen Zustand verschlechtert, und ich frage mich, was an diesem Licht so sehr zerstören  kann, dass er jetzt so hoch dafür zahlt. Vielleicht aber zahlt er auch nicht, vielleicht ist er nur ein wenig anders als wir, ohne Lichtaugen.
Das ist der Moment, in dem ich mir wünsche er hätte mir nicht von seinem Licht erzählt, denn jetzt werde ich mich fragen wie es wohl ist mit seinem Kerzenlicht im Kopf.

Dienstag, 10. Juni 2014

Entscheidungshilfe

Nach einem Wochenende Stille, kam heute eine Mail von S.
Aus Interesse hatte ich gefragt, warum er das Risiko einginge,
seine Familie, sein Haus, sein perfektes Leben,
das alles für eine Affäre zu riskieren.

Er schreibt, ganz erklären könne er es nicht, aber wenn er es abschalten könnte,
hätte er schon längst.
Klar, hätte er, denke ich. Nein, hätte er nicht.
Sicher nicht.
Es geht ja genau darum, dass es böse ist.
Wenn ich von S komme, fühle ich mich böse.
Böse, weil ich das, was mir nicht gehört, benutzt habe.
Ich bin über ihren Boden gelaufen, lag nackt auf ihrem Sofa,
unter Familienbildern mit glücklichen Gesichtern.
Manchmal spüre ich eine Idee des Schmerzes, den das alles bedeutet.
Des Verlusts, wenn wir nicht geheim bleiben.
Ein wenig leide ich mit, mit ihr, und allem.
Das Sofa hasst mich, wie die lächelnden Münder
und der Boden, und die Fenster starren.
Ich bin böse, egoistisch und schmutzig.
Alles, was ich von ihrem Glück berühre,
beschmutze ich mit meiner Freiheit.
Und abends, wenn ich zuhause in meinem Bett liege,
freue ich mich, weil ich böse bin,
weil dieses Böse mich auf eine ganz eigene Art erfüllt.

Geht es dir nicht auch so, S?
Deshalb passen wir doch so gut,
weil wir beide Spaß daran haben, das alles aufzubrechen und uns
aus den Resten etwas neues zu bauen, etwas das nur uns gehört.
Ein Traum, eine Idee,
eine Jagd, ein Spiel,
ein Fick, eine Verbindung,
ein Genuss,
ein Risiko, ein Gewinn.

Wir sind gleich.
Willst du es wirklich abstellen?
Lieber mit deiner Familie schwimmen gehen,
als in meinem Griff loszulassen?

Mit mir auf deinem Schoß, dich in mir,
solltest du da noch einmal drüber nachdenken,
was du willst.
Das wäre doch eine interessante Entscheidung.


Sucht

MA sitzt neben mir im Bankschatten.
Die Hitze weht vom Feld zu uns und verliert sich in der Kühle des Waldes.
Ist es nicht komisch für dich, dass da noch andere sind, frage ich.
Sie überlegt. Lächelt.
Es geht doch immer um Sicherheit in einer Beziehung, beginnt sie,
ich bin sicher, dass du mich nicht verlässt.
Und dann sind die anderen unwichtig.
Heute sind wir uns sehr nah, ganz ohne Berührungen.
Am Ende nehme ich sie in den Arm, spüre ihre Lippen an meinem Hals
und ihre Arme, die vom Staub und der Sonnencreme klebrig und rau sind.
Bevor wir uns getroffen haben, hat sie geschrieben, dass sie Zeit braucht, Zeit mit mir, und Nähe.
Nähe existiert auf viele Arten, nicht nur körperlich.

Während wir uns nah sind und sie unser Buch aufschlägt, ihre ruhige Stimme alles andere
aufsaugt, währenddessen taucht das Bild von A. in meinem Kopf auf.
Nackte Arme, die in der Sonne Licht brechen, greifen nach mir und halten mich fest.
In dieser Ruhe sehne ich mich nach ihm.
Ich frage mich, warum Sehnsicht nicht so einfach sein kann, wie Wärme oder Ruhe.
Sehnsucht fragt nicht nach dem Ist.
Sie ist einfach da, stiller Begleiter, beim Einschlafen, Essen, beim Leben.
Und manchmal, unproportional selten, wird sie gestillt.
A. schreibt mir abends. Ich bin da, schreibt er, was machst du?
Du lügst, denke ich, du bist nicht da,
sonst hätte meine Sucht für einen Moment geschwiegen.
Ich sehne mich, antworte ich.
Er schweigt.

Freitag, 6. Juni 2014

Gier

Manchmal stehe ich morgens auf und frage mich, ob ich ein schlechter Mensch bin.
Gierig.
Ist das schlecht?
Vielleicht auch einfach nur: entscheidungsunfähig? Oder: bequem?
Dann denke ich, dass etwas falsch läuft.
Ich stehe neben M und halte ihn im Arm, während die Wolken auf das Holz tropfen
und Mensch für Mensch brav seine Hand ausstreckt. Er greift fester nach mir, von seinen Knöcheln
rinnt ein Regenblutgemischt, dass langsam fest wird.
Dann sitze ich im Zug mit einer Tasche voller Mehl, Zucker, Eiern, und dann
in der Küche bei mir zuhause. Um 11 nachts zieht mich K an sich, legt seinen Kopf an meinen.
Hallo. Bin ich zu spät, fragt er leise.
Unsere Teighände treffen sich in der Schüssel, immer wenn wir neue Kugeln beginnen.
Um 2 küsse ich ihn, gute Nacht. Ich bin heute lieber alleine.
Um 7 setze ich mich ins Auto, strecke meine Hand nach A aus. Ich habe mich so auf dich gefreut,
sage ich.
Und lehne mich zurück, als er mich in der Umkleide an sich zieht.
Ich lege meine Kleidung auf die Ablage neben mir,
höre die Stimmen von nebenan nicht mehr, die Wände verschwimmen und
ich löse mich. Muss lächeln, weil er mir so gefehlt hat.
Abends umarme ich ihn, will ihn nicht gehen lassen.
Dann setze ich mich und schreibe S.
Natürlich möchte ich dich wiedersehen, schreibe ich, ich spiele nicht.
Ich bin müde, und bedanke mich kurz bei MA.
Sie weiß, wie ich es meine. Und, dass sie mich morgen sowieso sehen wird.
Abends liege ich alleine im Bett und bin glücklich.
Ist das schlecht, frage ich mich nicht mehr.
Ist das richtig, frage ich mich morgen wieder.